24 Wochen –
ein berührender und provokanter Film über eine Spätabtreibung
von Barbara Buhl
Abstract:
Obwohl er letztlich keinen Preis erringen konnte, hat der einzige deutsche Wettbewerbsfilm auf der Berlinale 2016, „24 Wochen“ der jungen Regisseurin Anne Zohra Berrached, viel Aufmerksamkeit erregt – und auch verdient.
Berrached, die selbst, wie sie in einem Interview sagt, die Erfahrung einer Abtreibung gemacht hat, bringt in ihrem Film eine junge Familie in ein moralisches Dilemma. Das zweite Kind, so stellen die Ärzte im 6. Monat der Schwangerschaft fest, hat das sog. Down-Syndrom. Ein Schock zunächst. Kurze Zeit, nachdem sich die Eltern voller Tatendrang und positiver Energie entschlossen haben, dieses Kind auszutragen und willkommen zu heißen, stellen die Ärzte dann schwerste Herzfehler fest. Das Beratungsgespräch, das wir nach dieser Diagnose im Film erleben, ist von einer Direktheit und Härte, dass es dem Zuschauer den Atem verschlägt. Astrid (Julia Jentsch)und Markus (Bjarne Mädel), die noch kurz zuvor ihrer neunjährigen Tochter Nele kindgerecht erklärt haben, warum der Junge, den sie erwarten, anders sein wird als andere Kinder, sind fassungslos. Die beiden Ärzte, die bis hin zum Aufsägen des winzigen Brustkorbs des Neugeborenen alle notwendigen Behandlungsschritte und damit verbundenen Leiden des Babys auf Nachfragen der werdenden Mutter routiniert und sachlich beantworten, sind echt, ebenso wie alle anderen Ärzte, Berater, Hebammen und Sozialarbeiter in diesem Film auch. Daraus ergibt sich eine besondere Konstellation für die Schauspieler, die in eine Situation jenseits der normalen Dreharbeiten mit Proben, Absprachen etc. geworfen werden und improvisieren und spontan reagieren müssen, auch im Wissen, dass für diese „echten“ Ärzte solche Situationen in der Realität Routine sind. Die Tonalität, die sich daraus ergibt, die spontanen Reaktionen des Entsetzens der Schauspieler auf die sachlichen Ausführungen der Ärzte, schließlich die Reaktionen auf dem Gesicht von Julia Jentsch während des Vollzugs der Spätabtreibung, zu der sich ihre Figur letztlich entschließt – selten hat man die zwei Welten, die in der medizinischen Praxis aufeinander treffen und bei denen bei aller sachlichen Fachberatung die Betroffenen einsam ihre Entscheidung treffen müssen, so intensiv auf der Leinwand gesehen wie in „24 Wochen“.
Die zutiefst destruktive Erfahrung des ins Leben eingreifenden Akts der Abtreibung, zumal einer solchen Spätabtreibung in der 24. Woche, wird nicht zuletzt durch die Konfrontation von Schauspielern mit Laien, die allerdings zugleich Fachexperten sind, welche die normalen Regeln und Konventionen von Dreharbeiten für Spielfilme durchbrechen, zu einer merkwürdigen ästhetischen Erfahrung für den Zuschauer: irgendetwas stimmt nicht, durchbricht die Routine der filmischen Identifikation, durchbricht die Grenze zwischen Fiktion und Realität. Durch diese Durchbrechung gleichsam der Membran zwischen „realer“ und „erfundener“ Situationen gelingt eine Unmittelbarkeit der Erfahrung von Destruktivität: die Zerstörung der Wünsche und Hoffnungen der jungen Eltern, die Fantasie von den schrecklichen Eingriffen in den zarten Babykörper, die die Ärzte evozieren, und schließlich die folgenschwere und auch körperlich schreckliche Entscheidung zum Abbruch der Schwangerschaft – der Zuschauer kann sich dem als geradezu unmittelbarer eigener Erfahrung kaum entziehen.