In der Rubrik Abhandlungen / Essays finden sich wissenschaftliche Aufsätze, theoretische Abhandlungen und Essays aus Philosophie, Psychoanalyse und Kulturwissenschaften.
Ludwig Janus
Y – Z Atop Denk 2024, 4(9), 2.
Abstract: In den letzten 250 Jahren hat sich im Rahmen der Aufklärung und ihrer Folgen eine dramatische Bewusstseinsevolution in dem Sinne vollzogen, dass wir uns nicht mehr aus dem Bezug zu geistlichen oder weltlichen Autoritäten bestimmen, sondern im Sinne von Kant „aus uns selbst“. Damit verbunden ist eine Rücknahme projektiven Erlebens, wie es davor in unzähligen abergläubischen Vorstellungen selbstverständlich war. Das bedeutete eine klare Scheidung zwischen innen und außen, die es ermöglichte, sowohl äußere Gegebenheiten wie in Wissenschaft und Technik, wie auch soziale und psychologische Gegebenheiten wie in den gesellschaftlichen und seelischen Strukturen, zu reflektieren und zu verändern. Die Psychodynamik dieser Mentalitätsveränderungen gilt es auch für das Verständnis der Moderne und für die Psychotherapie zu reflektieren.
Keywords: Bewusstseinsevolution, Mentalitätsentwicklung, Identität der Moderne
Copyright: Ludwig Janus | Lizenz: CC BY-NC-ND 4.0
Veröffentlicht: 03.10.2024
Sonja Witte
Y – Z Atop Denk 2024, 4(8), 1.
Originalarbeit
Abstract: Mit dem Begriff „Kulturindustrie“ sind in der Kritischen Theorie Theodor W. Adornos verschiedene Überlegungen zu kulturellen Prozessen und Phänomen im Kapitalismus verbunden. Dabei geht es u. a. um die Frage, inwiefern das gesellschaftliche Prinzip der Warenförmigkeit in medialen Techniken und Ästhetiken sowie deren Rezeption wirksam ist. Das Unheimliche – so die hier vorgestellte Überlegung – bildet in der Kulturindustrie einen Bereich, in dem sich das Verhältnis von Unbewusstem und Gesellschaft in spezifischer Weise ausgestaltet, welche gängigen Rezeptionen des Begriffs der Kulturindustrie widerspricht. In Anknüpfung an psychoanalytische Theorien des Unheimlichen wird anhand von Filmbeispielen skizziert, inwiefern im Unheimlichen Ambivalenzen der Warenförmigkeit in Erscheinung treten.
Keywords: Kulturindustrie, Adorno, Unheimliches, Gesellschaftliches Unbewusstes, Filmtheorie, Freud
Copyright: Sonja Witte | Lizenz: CC BY-NC-ND 4.0
Veröffentlicht: 30.08.2024
Delaram Habibi-Kohlen
Y – Z Atop Denk 2024, 4(7), 3.
Originalarbeit
Abstract: Die Hoffnung, die sich auftat beim Beginn der Fridays-for-Future-Bewegung, hat sich deutlich abgeschwächt, stattdessen ist ein Rückbau der Klimaschutzmaßnahmen zu beobachten und im Zusammenhang mit einer gesellschaftlich-politischen Bewegung nach rechts, schwindet die Hoffnung auf rechtzeitige Transformationen zur Eindämmung der Klimakrise noch weiter. Der Text stellt die Wichtigkeit einer Verbindung zwischen individuellem und politischem Handeln heraus und beschreibt schließlich ein Paradox von Hoffnung, die dann realistisch wird und zum Handeln führt, wenn sie die Hoffnung auf ein Weiterbestehen des bisher selbstverständlich Geglaubten aufgibt.
Keywords: Radikale Hoffnung, Entfremdung, Klimakatastrophe, Individuum und Gesellschaft
Copyright: Delaram Habibi-Kohlen | Lizenz: CC BY-NC-ND 4.0
Veröffentlicht: 30.07.2024
Götz Egloff
Y – Z Atop Denk 2024, 4(5), 1.
Originalarbeit
Abstract: Im Zuge von allgegenwärtiger gesellschaftlicher Flexibilisierung, Ökonomisierung und Virtualisierung darf das heutige Subjekt als der kulturellen Logik des Spätkapitalismus in Form der Postmoderne unterworfen angesehen werden. Anorexia und Bulimia nervosa sind nicht nur Teil dieser gesellschaftlichen Realität; es stellt sich die Frage, ob diese und andere psychische Störungen einer medial vermittelten Dynamik unterliegen, die tief in die Subjektwerdung hineinreicht. Die schillernden Charakteristika der Postmoderne können als kulturelle Symptome verstanden werden, die keineswegs naturwüchsig und unumkehrbar, sondern medial bedingt und mittelbar mit technischem Fortschritt verknüpft sind. Die Bulimie scheint, mehr als die Anorexie, ein Paradebeispiel hierfür. Im Rückgriff auf die Historizität von Symp-tomatik in ihren unterschiedlichen Ausformungen und Störungsbildern im Laufe der Zeit soll anhand von Merkmalen von Moderne und Postmoderne dargestellt werden, wie sich anorek-tische und bulimische Symptomatiken darin positionieren. Im Zuge der gesellschaftlichen Durchdringung durch das (Bild-)Mediale kann von einer soziokulturellen Rückwendung ins fragile Selbst gesprochen werden.
Keywords: Bulimia nervosa, Anorexia nervosa, Psychopathologie, postmodern, medial
Copyright: Götz Egloff | Lizenz: CC BY-NC-ND 4.0
Veröffentlicht: 30.05.2024
Marc Heimann
Y – Z Atop Denk 2024, 4(3), 2.
Originalarbeit
Abstract: In diesem Beitrag wird die formale Struktur des Spiegels als logischen Operators in Lacans Werk untersucht. Um sich diesem Thema anzunähern, werden die Formeln diskutiert, die Lacan in seinem Seminar X Die Angst als Beispiel für die Anwendung dieses Operators vorstellt. Zudem werden diese Formeln verglichen mit der Subjektstruktur, die Lacan für die Psychosen entwirft, um die Integration des objet petit a in die Sprache zu greifen. Diese Formeln verbinden mehrere Elemente von Lacans Denken miteinander. In der Lacanschen Theorie zeigen sie eine eindeutige Beziehung zu dem Möbiusband und ermöglichen somit einen tieferen Einblick in die Metapher des Spiegels. Der Spiegel-Operator als logisches Werkzeug ermöglicht es zu konzeptualisieren, inwieweit ein unbestimmtes Element Teil unserer Identität ist und wie dies zur Strukturierung von Angst führt. Dabei ist zentral, dass die Formeln des Phantasmas zutiefst mit dem philosophischen Problem des Einen zusammenhängen.
Keywords: Das Eine, Spiegel, Lacan, Platonismus, objet petit a, Logik des Unbewussten
Copyright: Marc Heimann | Lizenz: CC BY-NC-ND 4.0
Veröffentlicht: 30.03.2024
Y – Z Atop Denk 2024, 4(4), 2.
Vincent Grob
Originalarbeit
Abstract: Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt in der Konstitution der (Selbst-)Wahrnehmung beschäftigt die philosophische Forschung seit ihren Anfängen, ohne dadurch je an Aktualität einzubüßen. Die Antworten, die auf diese Frage gegeben werden, beeinflussen unser Verständnis von uns selbst und unserem Platz in der Welt als Individuen und Gemeinschaft und bilden das theoretische Fundament unserer Zielsetzungen und Handlungen. Die verschiedenen Ausprägungen der grundlegendsten Begriffe unserer Erfahrung, des Seins und des Nichts, sind daher von besonderem Interesse kulturübergreifender Forschungsarbeit, da sie die Logik diktieren, nach der sich der Möglichkeitshorizont des Erfahrbaren bemisst und eine umfassende Kritik dieser Logik nicht allein aus sich selbst generiert werden kann. Die vorliegende Arbeit befasst sich daher mit einem Schnittpunkt der philosophischen Begriffsgeschichte des Nichts, in der westlich-existenzialistische Gedanken wie östlich-buddhistische Glaubenssätze zum Verhältnis vom Nichts zum Sein nahezu zeitgleich eine phänomenologische Aufarbeitung erfahren haben. Hierzu wurden das Hauptwerk Jean-Paul Sartres Das Sein und das Nichts (1943) sowie mehrere Aufsätze Nishida Kitarōs (Ort (1926), Ich und Du (1932), Ortlogik und religiöse Weltanschauung (1945)) kritisch-vergleichend beleuchtet, um Konsequenzen und Inkonsistenzen für das (Inter-)Subjektivitäts-Verhältnis herauszustellen und entsprechend einem einheitlich-kohärenten Verständnis des Nichts anzupassen.
Keywords: Selbstbewusstsein Ortlogik, Identitätslogik, Absolutes Nichts, Intersubjektivität
Copyright: Vincent Grob | Lizenz: CC BY-NC-ND 4.0
Veröffentlicht: 30.04.2024
Michael Schultz
Y – Z Atop Denk 2024, 4(4), 1.
Originalarbeit
Abstract: Mit den großen Fortschritten in text- und bildgenerierenden KI, welche in den letzten Jahren für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, hat sich ein Diskurs um die Frage gebildet, inwieweit die durch diese KI-generierten Bilder als Kunst zählen können. Um eine Grundlage für die Beantwortung dieser Frage zu bilden, ist es wichtig, die Perspektive des Nutzers generativer KI, in welchem Betrachter und Erschaffer zusammenfallen, nicht zu vernachlässigen. Ich möchte daher untersuchen, welche Wirkung KI-generierte Bilder in der Phänomenologie des Betrachters haben können. Hierfür werde ich insbesondere auf drei Aspekte dieser Wirkung eingehen. Erstens möchte ich untersuchen, inwiefern durch den unsicheren Status des Urhebers des KI-generierten Bildes in dem Nutzer Annahmen über die Subjektivität der KI entstehen. Zweitens wird es mir darum gehen, wie solche Bilder Weltvorstellungen hervorrufen, welche durch einen Gegensatz von Materialität und Virtualität geprägt sind. Und drittens werde ich darstellen, inwiefern die Interaktionen zwischen Nutzer und KI-generiertem Bild ein Element der Entfremdung beinhalten. Hierdurch möchte ich zeigen, dass solche Bilder mit einer bestimmten ästhetischen Erfahrung verbunden sind, deren Existenz als Grundlage verwendet werden kann, um weiterführend über ihren Status als Kunst zu argumentieren.
Keywords: Künstliche Intelligenz, Ästhetik, Surrealismus, Entfremdung
Copyright: Michael Schultz | Lizenz: CC BY-NC-ND 4.0
Veröffentlicht: 30.04.2024
Judith Wagner
Y – Z Atop Denk 2024, 4(2), 1.
Originalarbeit
Abstract: Schmerz ist ein komplexes Phänomen. Ihm liegen komplexe neuroanatomische und -physiologische nozizeptive Vorgänge zugrunde. Zudem wird er durch situative, psychologische und gesellschaftliche Faktoren modifiziert und unterliegt somit in seiner Ausprägung und Gestalt der bewussten und unbewussten Interpretation durch das Individuum. Als solches ist der Schmerz auch ein interessantes kognitionstheoretisches und philosophisches Forschungs-feld. Im Folgenden soll der Schmerz aus phänomenologischer und enaktivistischer Perspektive untersucht werden. Schwerpunkt der Untersuchung soll die gegenseitige Beeinflussung von Schmerz und Körperschema sein. An geeigneter Stelle werden Parallelen zu neurowissen-schaftlichen Herangehensweisen gezogen. Hier wird deutlich, dass Neurowissenschaften und Philosophie mitnichten konkurrierende, sondern sich ergänzende Wissenschaften sind. An-hand dieser interdisziplinären Betrachtung soll aufgezeigt werden, wie massiv Schmerz die Ausbildung des autonom in seine phänomenologische Nische hineinhandelnden Individuums und somit die Realisierung dessen freien Willens bis hin zur Existenzauslöschung behindert.
Keywords: Schmerz, Körperschema, Leib, Enaktivismus, Phänomenologie
Veröffentlicht: 12.02.2024
Stefan Ohlrich
Y – Z Atop Denk 2023, 3(11), 1.
Originalarbeit
Abstract: Die Arbeit versteht sich als Beitrag im allgemeinen Spannungsfeld von psychoanalytischer Theoriebildung und Methode. Am besonderen Beispiel des Konzepts der Rêverie im Verständnis Antonino Ferros wird gezeigt, wie der Einsatz der bestehenden Theorie im analytischen Prozess die Freud’sche Methode kompromittiert: An die Stelle von Exploration und Analyse der Abkömmlinge des Unbewussten rückt die Gewissheit über die vermeintliche Wahrheit, die sich Analytiker:innen in ihren eigenen Assoziationen offenbart. Der Essay verfolgt das Problem noch tiefer: In einem weiteren Schritt legt der Autor offen, dass durch diese Präferenz der Theorie vor der psychoanalytischen Methode einem Genießen der Analytiker:innen an ihrem eigenen Unbewussten, damit einer Jouissance Vorschub geleistet wird. Die Arbeit bemüht sich, nicht einfach eine beliebige Theorie zu kritisieren, sondern schließt in Anlehnung an Jean Laplanche und Christopher Bollas mit einer Rückbesinnung auf die Freud’sche Psychoanalyse als singulärer Methode.
Keywords: Reverie, Phantasie, Jouissance, Signifikanten, gleichschwebende Aufmerksamkeit
Veröffentlicht: 30.11.2023
Jean-Michel Rabaté
Y – Z Atop Denk 2023, 3(10), 3.
Abstract: Ausgehend von Kants „Der Versuch über die Krankheiten des Kopfes“ und Freuds „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten“ verortet dieser Essay Hašeks Satire auf den Krieg und den Militarismus in einer paradoxen Anthropologie der Dummheit, die teils von Helmuth Plessner, teils von Alain Badious Mischung aus Theorie und Theater definiert wird.
Übersetzung: Nico Graack
Keywords: Dummheit, Anthropologie, Satire, Subversion, politische Witze
Veröffentlicht: 30.10.2023
Lutz Goetzmann und Ludwig Janus
Y – Z Atop Denk 2023, 3(6), 1.
Originalarbeit
Abstract: Die vielfältigen Beobachtungen seitens der pränatalen Psychologie zeigen, dass das vorgeburtliche und geburtliche Erleben für das Individuum einen existenziellen und prägenden Charakter hat. In der Psychoanalyse ist dieser Einfluss seit den Arbeiten Otto Ranks zwar bestens bekannt, war jedoch in seiner konzeptuellen und klinischen Bedeutung lange umstritten. In dem vorliegenden Artikel beleuchten wir die Beziehung, die zwischen Lacans Realem und einem (vor)geburtlichen Erleben bestehen könnte. Sowohl das Reale wie das (vor)geburtliche Erleben des Kindes sind vor allem dadurch gekennzeichnet, dass (noch) keine „Symbolisierung“, d.h. dass weder die Bildung imaginärer noch symbolischer Vorstellungen besteht. Allenfalls erfolgt eine spätere Repräsentation im Rahmen der „Nachträglichkeit“, d.h. einer nachträglichen Übersetzung. Wir schlagen allerdings vor, dass bereits das Ungeborene ein Bewusstsein entwickelt, das die Effekte des Realen aufnimmt. Das Bewusstsein ist phänomenal; betont man den dynamischen Zusammenhang zwischen dem Phänomenalen und Realen, ließe sich diese Dimension als das „Phänoreale“ bezeichnen. Wir sind überzeugt, dass sowohl die pränatale Psychologie wie die Lacan’sche Psychoanalyse von dieser Verknüpfung sowohl konzeptuell wie klinisch profitieren können.
Keywords: Pränatale Psychologie, Reales, Phänoreales, Nachträglichkeit, Effekt
Veröffentlicht: 30.06.2023
Lorenz Mangold
Y – Z Atop Denk 2023, 3(5), 1.
Originalarbeit
Abstract: Im Zuge der psychoanalytischen Herangehensweise, traumabezogene Phänomene auf Unterbrechungen in der Erfahrungsbildung zu beziehen, untersucht dieser Text den Begriff der psychischen Negativität; als theoretischer Boden dient dafür André Greens Denken. Um mehrere Perspektiven ineinander zu verschränken, werden zudem Symboltheorie, Fragen der Lebendigkeit und das Verhältnis zwischen Subjektivität und Kultur gestreift. Abschließend werden die theoretischen Überlegungen an der Erzählung von Jesu Kreuzigung exemplifiziert, die so als Produkt des Lustprinzips lesbar wird.
Keywords: Trauma, Negativität, Andrée Green, Alfred Lorenzer, Donald Winnicott
Veröffentlicht: 30.05.2023
Johannes Vorlaufer
Y – Z Atop Denk 2023, 3(2), 2.
Abstract: Der Beitrag möchte unser Wachsein und Träumendsein in ihrem Bezug zueinander und in fundamentalontologischer Hinsicht bedenken: Inwiefern kann das Wachsein für Träume fruchtbar sein? Warum haben uns Träume etwas zu sagen? Und wie können wir auf ihr Gesagtes und Ungesagtes hören? Im fragenden Nachdenken des spannungsreichen Dialogs von Medard Boss und Martin Heidegger wird versucht, die Bedeutung einer Besinnung auf das Traumphänomen für den therapeutischen Prozess zu erschließen.
Keywords: Wachen, Träumen, Möglichkeit, Wirklichkeit, Daseinsanalyse, Psychotherapie
Veröffentlicht am: 28.02.2023
Nico Graack
Y – Z Atop Denk 2023, 3(1), 1.
Abstract: Sowohl Husserl als auch Wittgenstein zielen auf eine Neu-Begründung der Philosophie – Einmal in der Gestalt einer neuen prima philosophia, in der das System der Wissenschaften sich zu verankern vermag; einmal in der Gestalt einer Therapie von der alten Krankheit der Metaphysik. In beiden spielt dabei ein Bezug auf das Unmittelbare eine zentrale Rolle, die direkte Schau dessen, was sich zeigt. In diesem Sinne könnte man versucht sein, auch Wittgenstein als eine Art von Phänomenologen zu lesen. Wir möchten hingegen zeigen, dass es sich um zwei fundamental verschiedene Figuren des Unmittelbaren handelt, worauf wir auf Lacans „Formeln der Sexuierung“ zurückgreifen, um diesen Unterschied zu machen: Bei Husserl finden wir das Paradox eines externen Betrachters, vor dessen Augen sich alles in seine Konstitutionsleistung wandelt (Lacans „Alles") – Bei Wittgenstein das Paradox eines involvierten Betrachters, der in den Strom der Sprache verwirbelt ist (Lacans „Nicht-Alles"). Der Bezug auf Lacan ermöglicht uns dabei, zu verstehen, dass Wittgenstein in einem gewissen Sinne wirklich eine Radikalisierung Husserls versucht: Er kürzt Husserls Vision um das Phantasma einer originären Fülle, die unseren Bezug zur Welt belebt. Mit Wittgenstein sehen wir: Dieser Bezug braucht keine intuitiv erschaubare Fülle, um lebendig zu sein.
Keywords: Unmittelbares, Schau, Wittgenstein, Husserl, Lacan, Formeln der Sexuierung, Nicht-Alles
Veröffentlicht am: 30.01.2023
Lutz Goetzmann
Y – Z Atop Denk 2022, 2(12), 2.
Abstract: Folgende Ausführungen beschäftigen sich mit dem Realen (im Sinne Lacans) und dem Ereignis in der psychoanalytischen Kur. Als Grundlage werde ich zunächst ein psychoanalytisches Modell vorstellen, das – so hoffe ich – tragfähig genug ist, um sich dem Ereignis des Realen konzeptuell zu nähern, und das dem Dual-Aspekt-Monismus verpflichtet ist. In einem zweiten Schritt werde ich das Modell in den Kontext von Alain Badious Ereignisphilosophie stellen und die Begriffe der Vielheit, der Zählung-als-Eins, der Präsentation/ Repräsentation sowie der Ereignisstätte für die Psychoanalyse fruchtbar zu machen. Abschließend werde ich die entsprechende Klinik beschreiben, welche am Rand des Ereignisses auftritt, und analytische Interventionen vorschlagen.
Keywords: das Reale, Ereignis, Dual-Aspekt-Monismus, Mengenlehre, Trauma
Veröffentlicht am: 30.12.2022
Maximilian Thieme
Y – Z Atop Denk 2022, 2(11), 2.
Abstract: Worin könnte die Aktualität Sartres bestehen? Um diese Frage zu beantworten, zeichnet der Essay eine gedankliche Linie von Sartre über Foucault hin zu Eribon, deren Zielpunkt eine gesellschaftskritische Analyse des „Blicks“ ist. Dieser offenbart sich als ein Urteilsspruch und Ruf zur Ordnung, der jene, die er trifft, auf eine Norm verpflichtet und alle Formen der Abweichung mit dem Stigma des Anormalen brandmarkt. Die Scham als Folge dieser Unterwerfung lässt sich innerhalb vieler Register menschlichen Daseins beobachten. Hier wird das „homosexuelle In-der-Welt-sein“ in seiner Heimsuchung durch die Scham betrachtet – ebenso wie die Gesten des Widerstandes, mit denen es der Abjektion begegnet.
Keywords: Scham, Homosexualität, Blick, Widerstand
Veröffentlicht am: 30.11.2022
Carl Corleis
Y – Z Atop Denk 2022, 2(10), 2.
Abstract: Die Rezeption von Michel Foucaults Verhältnis zur Psychoanalyse konzentriert sich auf seine späten, der Psychoanalyse gegenüber kritischen Arbeiten. Die 1960er Jahren hindurch bezog sich Foucault jedoch beinahe ausschließlich affirmativ auf sie, namentlich in Hinblick auf die Schriften Jacques Lacans. Dies ist umso bemerkenswerter, als dass Foucault seine theoretischen Konzeptionen in dieser Zeit mehrmals modifizierte. Worin findet sich der Grund dafür, dass das Denken Lacans ungeachtet dieser Veränderungen für Foucault über viele Jahre hinweg Bezugspunkte bieten konnte und warum änderte sich dies Anfang der 1970er Jahre? Anhand einer Rekonstruktion der Spuren, die die Arbeiten Lacans in Foucaults philosophischer Entwicklung dieser Jahre hierließen, lässt sich zeigen, dass es die fundamentale Bedeutung der Sprache in Lacans Psychoanalyse ist, die Foucault für seine eigenen Überlegungen zum Wahnsinn, zur Überschreitung und zur Sprache auf je verschiedene Weise fruchtbar zu machen verstand. Aus dieser Perspektive heraus lässt sich einsichtig machen, warum mit Foucaults theoretischer Neuausrichtung in den 1970er Jahren Lacans Schriften für ihn keine theoretische Ressource mehr darstellen konnten.
Keywords: Wahnsinn, Überschreitung, Sprache, Tod Gottes, Name-des-Vaters
Veröffentlicht am: 30.10.2022
Johannes Vorlaufer
Y – Z Atop Denk 2022, 2(9), 1.
Abstract: Wenn „therapeutisch“ im weiten Sinn des Wortes eine Befreiung des Menschen aus Verengungen meint, die es ihm verunmöglichen, die Weite und Tiefe seines Existierens zu erfahren, und wenn zu diesen unser Denken und unser Wesen bestimmenden Verengungen das Vorherrschen eines chronologischen Zeitverständnisses zählt, das mit der Zeit nur noch rechnend umgehen kann, dann ist eine Rückfrage nach der in einem gelingenden Gespräch möglichen ursprünglichen Zeiterfahrung nötig. Dies soll am Begriff der Gegenwart versucht werden.
Keywords: Hören, Zeit, Mitsein
Lutz Goetzmann
Y – Z Atop Denk 2022, 2(4), 2.
Abstract: Im vorliegenden Artikel wird versucht, eine Politik der Psychoanalyse zu entwerfen, die zu einer Transformation der Gesellschaft beitragen könnten. Ausgangspunkt ist die Aktualisierung realer, d.h. nicht-repräsentierter Empfindungen in Form eines fairen oder unfairen Aktes, dem eine Aktualisierung symbolischer Überich-Strukturen vor dem Hintergrund des Ödipus-Komplexes entgegengesetzt wird. Eingehend wird die Möglichkeit der Wahlfreiheit diskutiert und hier auf die Überlegung zurückgegriffen, dass eine freie rationale Wahl nur von einem Ort des Mangels ausgehen kann. Hier wird zwischen einem „Subjekt des Unbewussten“1 und einem „Subjekt der praktischen Vernunft“ unterschieden. Diese Überlegungen werden in Bezug gesetzt zu John Rittmeisters Notizen, die Rittmeister in Berliner Gefängnissen auf Tüten und Papierfetzen festhielt, und die als Grundlage einer heutigen „Politik der Psychoanalyse“ gelten dürfen.
Keywords: Politik der Psychoanalyse, Empfindungen, das Reale, Ödipus-Komplex, Subjekt
Veröffentlicht: 30.04.2022
Nico Graack
Y – Z Atop Denk 2022, 2(2), 1.
Abstract: Das zentrale Problem der lévinasschen Philosophie ist der Status des Anderen und seine Beziehung zum Selben. Dabei wurde ihm von Seiten lacanianischer Philosophie, namentlich Žižek, vorgeworfen, den Anderen zu „fetischisieren“. Worin genau diese Fetischisierung besteht, lässt sich durch einen Blick auf das lévinassche Verhältnis zum Witz besser verstehen. Lévinas hegt eine gewisse Aversion gegen den Witz und fordert stattdessen den „strengen Ernst der Güte“. Im Witz zeichnet sich aber eine soziale Beziehung ab, die die Grundlage der ethischen Relation mit dem Anderen bildet, ohne ihn zu fetischisieren. Das heißt: Eine Beziehung, in der der Andere selbst immer schon in zwei Instanzen gespalten ist – In das, was Lacan den imaginären und den symbolischen Anderen nennt. Erst die Anerkennung dieser zwei Instanzen verhindert, dass der Andere zu einem quasigöttlichen Meister oder einem bloßen Objekt meiner Verfügung wird. Der strenge Ernst der Güte braucht den Witz des Anderen.
Keywords: Witz, Ethik, Lévinas, Lacan, Fetisch
Veröffentlicht: 25.02.2022
Melanie Reichert
Y – Z Atop Denk 2022, 2(1), 1.
Abstract: Im Jahr 1966 trifft die damals 24-jährige Promovendin Julia Kristeva in Paris auf Roland Barthes, der zu dieser Zeit am Collège de France lehrt. Im Verlauf ihrer langen philosophischen Freundschaft haben sich beide auf nachhaltige Weise beeinflusst. Besonders wichtig für die philosophische Entwicklung Barthes’ waren Kristevas Arbeiten zum Paragramm (Samoyault 2015, 515), in denen sie die Vorstellung, bei Texten handele es sich um Prozesse, radikalisiert. Ebenso wie die Schriften Michail Bachtins, mit denen Kristeva Barthes vertraut macht, haben diese Arbeiten ihn entscheidend dabei beeinflusst, den Text als oszillierendes ästhetisches Phänomen in den Blick zu nehmen und diese Perspektive ideologiekritisch fruchtbar zu machen. In diesen Motivkreis fällt auch der Begriff der Jouissance. Eine Verbindung der Gedanken Barthes’ und Kristevas über den Nexus des Jouissancebegriffs kann folgendes zeigen: Zum einen handelt es sich bei der Erfahrung der Jouissance um ein epistemisches Phänomen, eine eigene Erkenntnisweise. Zum andern entfaltet diese besondere Erkenntnisweise vor dem Hintergrund nicht nur der Kulturphilosophie des 20. Jahrhunderts einige subversive Kraft.
Keywords: Jouissance, Kulturkritik, Episteme, Erotik, Ästhetik
Veröffentlicht: 25.01.2022
Hilmar Schmiedl-Neuburg
Y – Z Atop Denk 2021, 1(11), 1.
Abstract: Hans-Georg Gadamers Werk Wahrheit und Methode (1990 [1960]) gilt als das wichtigste Werk der Hermeneutik im 20. Jahrhundert. Die Daseinsanalyse als Psychotherapie hingegen entstand aus der Verschmelzung der Psychoanalyse Sigmund Freuds und der Daseinsanalytik Martin Heideggers. Vor diesem Hintergrund geht der Aufsatz der Frage nach, ob auch das philosophische Werk des bedeutendsten Heideggerschülers, Hans-Georg Gadamer, sich für die daseinsanalytische Psychotherapie fruchtbar machen lässt. Im Rahmen des Aufsatzes werden daher im ersten Teil die Grundzüge der gadamerschen philosophischen Hermeneutik vorgestellt und im zweiten Teil ihre Bedeutung für die daseinsanalytische Psychotherapie exploriert.
Keywords: Gadamer, Hermeneutik, Daseinsanalyse, Psychoanalyse
Veröffentlicht: 24.11.2021
Shannon Diehl
Y – Z Atop Denk 2021, 1(10), 8.
Abstract: In der aristotelischen Lehre über die Seele, welche hauptsächlich durch den Hylemorphismus geprägt wird, erweckt die Seele als Form (morphḗ) die Materie (hyle) zum Leben und verwirklicht das, was im Körper als artenspezifisches Potential angelegt ist. Die Beschreibung der Potentialiät, zu welcher sich die aristotelische Urmaterie ausformen kann, zeigt große Ähnlichkeiten zu den spezifischen Ausformungen der Welle/Teilchen als Primärenergie, welche verschiedene Erscheinungsformen, wie auch bewusstseinsspezifische Ausformungen, annehmen kann. Damit ähnelt Aristoteles Lehre über die Potentialität und über die Form und Materie dem Ansatz der Quantenphysik und kann letztlich nützlich sein, um diese wie auch den Welle/Teilchen-Dualismus besser zu verstehen.
Keywords: Hylemorphismus, Aristoteles, Quantenphysik
Veröffentlicht: 18.10.2021
Maximilian Thieme
Y – Z Atop Denk 2021, 1(10), 2.
Abstract: Soziale Scham ist eine der schmerzhaftesten psychischen Manifestationen eines Klassenantagonismus, der die Gesellschaft spaltet und hierarchisiert. Wer die soziale Klasse wechselt, bleibt doch auf die Herkunft verwiesen und leidet an einer inneren Zerrissenheit. Dieser Text zeichnet die Entstehung und auch die Formen nach, in welchen soziale Scham phänomenologisch in Erscheinung tritt. Erkenntnisse aus den Feldern der Soziologie, der Philosophie und der Psychoanalyse werden hier in ein Gespräch gebracht, um Möglichkeiten zu ersinnen, wie sich das existentielle Trauma einer solchen Scham bewältigen lassen kann.
Keywords: Scham, Habitus, Klassenunterschiede, Emanzipation
Veröffentlicht: 18.10.2021
Hilmar Schmiedl-Neuburg
Y – Z Atop Denk 2021, 1(10), 3.
Abstract: Die Charakterisierung des Sokrates als atopos, ortlos und seltsam, unklassifizierbar und ineffabile, in den platonischen Dialogen gibt Rätsel auf. Dieser Aufsatz versucht, den Spuren des Atopischen in den platonischen Darstellungen des Sokrates nachzugehen und Licht in die grundlegende Bedeutung des Atopischen für Sokrates und die Philosophie insgesamt zu bringen.
Keywords: Atopie, Sokrates, Trickster
Veröffentlicht: 18.10.2021
Hilmar Schmiedl-Neuburg
Y – Z Atop Denk 2021, 1(10), 1.
Abstract: Die Philosophie, die Psychoanalyse und die Kulturwissenschaften sind eigenständige, komplexe Weisen menschlicher Selbstverständigung und stehen zugleich in vielfältigen Beziehungen zueinander. Im Rahmen dieses Aufsatzes werden die Perspektiven eines Gesprächs, Austauschs und wechselseitigen Lernens, aber auch der wechselseitigen Kritik von Philosophie, Psychoanalyse und Kulturwissenschaften exploriert, ohne dabei einer der drei Disziplinen einen Primat einzuräumen.
Keywords: Philosophie, Psychoanalyse, Kulturwissenschaften, Cultural Studies, Transdisziplinarität
Veröffentlicht: 18.10.2021