Lacans Logik des Phantasma

Marc Heimann

Y – Z Atop Denk 2024, 4(3), 2.

Originalarbeit

Abstract: In diesem Beitrag wird die formale Struktur des Spiegels als logischen Operators in Lacans Werk untersucht. Um sich diesem Thema anzunähern, werden die Formeln diskutiert, die Lacan in seinem Seminar X Die Angst als Beispiel für die Anwendung dieses Operators vorstellt. Zudem werden diese Formeln verglichen mit der Subjektstruktur, die Lacan für die Psychosen entwirft, um die Integration des objet petit a in die Sprache zu greifen. Diese Formeln verbinden mehrere Elemente von Lacans Denken miteinander. In der Lacanschen Theorie zeigen sie eine eindeutige Beziehung zu dem Möbiusband und ermöglichen somit einen tieferen Einblick in die Metapher des Spiegels. Der Spiegel-Operator als logisches Werkzeug ermöglicht es zu konzeptualisieren, inwieweit ein unbestimmtes Element Teil unserer Identität ist und wie dies zur Strukturierung von Angst führt. Dabei ist zentral, dass die Formeln des Phantasmas zutiefst mit dem philosophischen Problem des Einen zusammenhängen.

Keywords: Das Eine, Spiegel, Lacan, Platonismus, objet petit a, Logik des Unbewussten

Copyright: Marc Heimann | Lizenz: CC BY-NC-ND 4.0

Veröffentlicht: 30.03.2024

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1. Einleitung

Das Spiegelstadium ist eines der zentralen theoretischen Elemente der Psychoanalyse Jacques Lacans. Trotz seiner Bedeutung ist es, wie ein Großteil von Lacans Werk, hermetisch formuliert. Lacan verwendet die Spiegelmetapher mit ihrer Topologie der Umkehrungen und Wiederholungen sehr wirkungsvoll, aber letztlich ist der Spiegel, um den es hier geht, ein sehr spezifischer Spiegel, der in seinem Seminar X Die Angst verwendet wird. Das Seminar X ist ein transformatives Seminar, das Lacans „Abkehr von Freud“ (Diatkine 2006, S. 1050) markiert, und es bietet einen guten Einblick in die Genese seines späteren Denkens und damit einen exemplarischen Text, um Lacans Theoreme zu diskutieren. Der Spiegel, um den es im Seminar X geht, ist kein imaginärer Spiegel, sondern ein ganz bestimmter symbolischer Spiegel. „Symbolisch“ im Sinne Lacans ist die formale Struktur der Sprache, des Denkens und vor allem des Unbewussten. Der vorgestellte symbolische Spiegel ist also Teil von Lacans Verständnis der „Logik des Unbewussten“ (Lacan 2015, S. 429). Dieser spezifische Spiegel wird im Seminar X in verschiedenen Formeln im Sinne eines logischen Operators verwendet. Ich verstehe den Spiegel hier also als logischen Operator und nicht als die topologische Metapher, die eine zentrale Interpretationsfigur des Spiegelstadiums ist (Homer 2004, S. 17-32).

Der folgende Aufsatz ist eine deutsche Neuformulierung (keine Übersetzung) meines Artikels, der 2022 im International Journal of Psychoanalysis unter dem Titel „The Mirror Operator: On Lacanian Logic“ (Heimann 2022) erschienen ist. Es handelt sich um eine Fragestellung, die als anti-systematische Formulierung des Subjekt-Objekt-Problems verstanden werden kann oder als Versuch, die logischen Zusammenhänge des mittleren und frühen Lacan systematisch zu entwickeln. Der im International Journal erschienene Artikel weist dabei aus heutiger Sicht des Autors einige Verkürzungen auf, zum einen wird das Problem des großen Anderen, das in der diskutierten Formel zentral ist, nur unzureichend artikuliert, zum anderen wird die Darstellung durch anschauliche Beispiele abgeschwächt, die gerade dort ein ‚Verstehen‘ provozieren, wo eigentlich nur die formale Struktur im Zentrum stehen sollte. Lacans Anspruch, die Psychoanalyse sei eine erklärende Wissenschaft (Lacan 2016, S. 227), die als einzige moderne Denkform eine wirkliche Logik des Subjekts hervorgebracht habe, steht einem solchen „verstehenden Zugriff“ entgegen. In einer Wissenschaftslandschaft, die sich implizit einem empirischen Aristotelismus verschrieben hat, ist diese Logik daher eine seltene Erscheinung, die aber auch im jüngsten „speculative turn“ durchaus eine Stärkung erfahren sollte, zumal dieser „turn“ ohne den Einfluss Lacans kaum denkbar wäre. Die Rolle des großen Anderen in der Spiegeloperation wirft jedoch ein sehr grundsätzliches philosophisches Problem auf, nämlich das eines begründenden Schnittes als Funktion der Leere (wie ich weiter unten ausführen werde).

Im Rahmen dieser, man könnte sagen, platonischen Neubesinnung, die auch Slavoj Žižek in „Weniger als Nichts“ (2012, S. 41) fordert, ist der folgende Essay ein Versuch, sich über eine Interpretation der Lacan'schen Spiegeloperatoren der Grundstruktur eines Platonismus des Ab-Grunds anzunähern. Diese Denkrichtung ist nicht neu, hat sie doch in Quentin Meillassoux’ Nach der Endlichkeit (2014) eine Ausformulierung erfahren, die das Chaos als Absolutes postuliert und gerade den rein im Denken selbst liegenden Zugang zu ihm vertritt. Auch Alain Badious Das Sein und das Ereignis (2005) markiert einen im Grunde platonischen Bezug auf eine begründende Leere, so dass eine Reformulierung des platonischen Denkens des „Einen“ und des mathematisch-logischen Bezugs auf dieses sich als ein zentrales Element aktueller philosophischer Debatten wiederfindet. Dieser Ab-Grund, als solcher erstmals von Heidegger formuliert (Heidegger 2006, S. 92), kann keine Struktur sein, der wir uns empirisch oder gar phänomenologisch nähern. Wie Heidegger bereits in Sein und Zeit anhand seines eigenen Todes markiert (Heidegger 1967, S. 250), liegt die Gegebenheit der begründenden Leere als Möglichkeit außerhalb des durch Verstehen und Erleben Gegebenen. Die Konsequenzen daraus entwickelt Heidegger selbst erst in seinem Spätwerk in zunehmend logischen Reflexionen, die sich ganz von den frühen lebensphilosophischen Einflüssen entfernen. Hier sind Freud und Lacan wesentlich weiter gegangen, insofern das Beharren auf der logischen Struktur des Unbewussten bereits in Freuds Traumdeutung ausgelotet wird (Freud 1900, S. 315-354). Lacan, der im Folgenden im Zentrum meiner Untersuchung stehen wird, erlaubt es uns dann, zentrale logische und ontologische Probleme im Zusammenhang mit diesem „Ab-Grund“ anzugehen.

Warum aber soll hier von einem Platonismus des Ab-Grund gesprochen werden, zumal Lacan die Idee und das Eine, zentrale Elemente platonischen Denkens, abzulehnen scheint? Weil Platon mit dem Begriff der Idee die Wirklichkeit rein formaler Strukturen denkt, die nicht durch Erfahrung, sondern durch das Denken selbst zugänglich sind. Dass Platons Wiedererinnerung (Platon 2011, S. 539-555) starke Parallelen zu Freuds Nachträglichkeit und Lacans après coup aufweist, ist sicher kein Zufall. Denn das Unbewusste ist wie das Begehren letztlich kein empirisches Phänomen, sondern wird erst durch die Strukturanalyse des Sprechens sichtbar. Es bedarf also eines formalen Denkens, das auch bei Freud noch von der mathematisch-logischen Formalisierung Lacans entfernt ist, um diesen Gegenstand der Psychoanalyse zu erfassen. Dies wird umso deutlicher, wenn man den Schluss auf die ursprüngliche Negativität des hier thematisierten Ab-Grundes berücksichtigt, der von Lacan als spekulative Bedingung der Einheit gedacht wird (Lacan 2002a, Seminar vom 14.03.1962). Diese wird durch die Subtraktion oder Negation des Gegebenen erreicht, nicht durch einen positiven Bezug auf die Erfahrung. Der folgende Aufsatz erhebt daher den Anspruch, die (anti)systematischen Zusammenhänge der Lacan'schen Überlegungen aus philosophischer Perspektive zu rekonstruieren. Dementsprechend werden keine unmittelbar praktischen oder klinischen Konsequenzen oder sozialpsychologische Überlegungen postuliert, sondern der Fokus liegt auf der Frage, wie grundsätzliche Probleme des Denkens im Hinblick auf die logische Relevanz psychoanalytischer Fragestellungen zu fassen sind.

Dieses Problem soll anhand von Lacans logischen Überlegungen zur Spiegelstruktur untersucht werden. Der folgende Aufsatz wird – im Anschluss an diese Einleitung (1) – zunächst die formalen Grundlagen eines Spiegeloperators diskutieren (2), um dann verschiedene Varianten dieser Operation anhand des Lacan'schen Begriffs des Phantasmas zu verhandeln (3). Aus dieser Reflexion über das Spiegeln als Form des Selbstverhältnisses ergeben sich eine Reihe von Fragen nach dem Zusammenhang der verschiedenen Spiegeloperationen, die anhand des Begriffs der Angst diskutiert werden (4). Schließlich wird der Begriff des Anderen und des formallogischen Schnitts im Gegenhorizont der Psychose konzeptualisiert (5).

 

2. Grundlagen: Spiegel-Operatoren

In der Mathematik ist ein „Operator“ im Allgemeinen eine Funktion, die auf Variablen in einem Raum einwirkt, um Variablen in einem anderen Raum zu erzeugen. In diesem Sinne ist er das Symbol für die Operation, die zwischen diesen Räumen stattfindet. Der Spiegeloperator ist also der Name des formalen Prozesses oder der Operation, die das Original mit dem Spiegelbild verbindet. Im Folgenden konzentriert sich die Analyse also auf den Spiegel als Operator. Und hier ist Lacans Gebrauch der Spiegelmetapher nicht mehr nur metaphorisch. Die Spiegeloperation ist Teil des expliziten theoretischen Rahmens, den Lacan entwickelt. Es gibt Elemente in Lacans Werk, in denen der Spiegel als eine Art Operator fungiert – ein „inkarniertes Mathem“ (Nobus 1999, S. 119). Da der Spiegeloperator in diesem Sinne kein eigenständiger Signifikant ist, sondern eine transformierende Beziehung oder ein Prozess, kann er nur als eine Art logischer Operator betrachtet werden. Das bedeutet auch, dass alle Probleme des Spiegels als Entwicklungsstadium oder als Frage der Wahrnehmung ignoriert werden und dementsprechend alle Fragen des Spiegelstadiums konsequent ausgeklammert werden. Die folgende Untersuchung bewegt sich daher ausschließlich im spezifischen Feld der Logik des Unbewußten. Ich möchte nur kurz andeuten, was mit einem solchen Operator erreicht werden kann: Dieser logische Operator erlaubt es uns, zwei zentrale psychische Prozesse miteinander zu verbinden, die häufig in metaphorischen Konzepten von Spiegelung und Reflexion verwendet werden, nämlich die Prozesse der Identifikation und der Differenz. Mit dem Spiegeloperator können wir leicht sichtbar machen, dass eine Identifikation durch wiederholte Spiegelung konstruiert werden kann, während eine einzige Spiegelung immer nur zwei verschiedene „Enantiomorphe“ hervorbringt.

Wir können zwei scheinbar unterschiedliche Operationen erkennen, die durch die neurotische und die perverse Struktur gekennzeichnet sind. Eine kurze Definition dieser beiden Begriffe vorweg: Ich verstehe hier „neurotisch“, „psychotisch“ und „pervers“ primär als formale Subjektstrukturen, d.h. als eine Art und Weise von Subjektivität. Der „Neurotiker“ ist nach Seminar IX (Lacan 2002a, S. 129) dadurch bestimmt, dass es „wissen will“. Was soll dieses Wissen wollen? Es soll den Bruch zwischen Signifikant und Signifikat aufheben. Also das Bezeichnete ganz in der Bezeichnung aufgehen lassen; ein unrealisierbares Ziel. Der „Perverse“ zeichnet sich demgegenüber dadurch aus, dass dieser Bruch zwischen Signifikant und Signifikat zwar grundlegend ist für die Operation, die der Spiegeloperator in der Subjektstruktur des Perversen vollzieht, aber – im Gegensatz zur neurotischen Struktur – nicht gewusst wird. Beide Bestimmungen, die neurotische wie die perverse, lassen sich in den Formeln des Phantasmas als einer auf das Subjekt selbst gerichteten Objektbeziehung deutlich machen, und es wird möglich sein, diese Bestimmungen im Folgenden genauer zu fassen. Wir haben es also in beiden Fällen mit Formeln der Selbstreflexion zu tun. Das psychotische Subjekt hingegen ist durch die „Verwerfung des Namens-des-Vaters“ gekennzeichnet, ein Problem, das in Abschnitt V näher behandelt wird. Hier sei nur kurz angedeutet, dass die psychotische Subjektstruktur durch eine fundamentale Verschiebung der Fundierung des Spiegeloperators gekennzeichnet ist, die nur im Hinblick auf die entwickelten Strukturen des Neurotikers und des Perversen Sinn macht.

Wie funktioniert nun der Spiegel als Operator? Lacans eigene Annäherung an das Problem arbeitet hauptsächlich mit geometrischen Strukturen wie dem „Möbiusband“ und der „Kreuzkappe“. Diese zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sie invertiert oder nicht invertiert sein können oder aus Invertierungen zusammengesetzt sind wie die „Klein'sche Flasche“. Ich glaube jedoch, dass diese geometrischen Strukturen vor allem deshalb verwendet werden, weil sie die formale Struktur bieten, die Lacan mit dem Spiegeloperator verwendet (Lacan 2010, S. 124-128).

Schauen wir uns daher zunächst die Grundstrukturen eines Spiegels an einem einfachen Beispiel an. Diese hier hervorgehobenen Grundlagen sind nicht spezifisch für Lacan, sondern können in jedem Lehrbuch über die Form der optischen Spiegelung nachvollzogen werden. Zunächst funktioniert eine normale Spiegelumkehrung so, wie wir es erwarten würden, indem eine ursprüngliche Position um die Spiegelachse invertiert wird:

∈|∋

Wenn wir diesen Zusammenhang als Ganzen jedoch verdoppeln, erhalten wir eine andere Art von Beziehung. Sie wird verdoppelt, unterscheidet sich aber nicht mehr von ihrem Spiegelbild:

∈ ∋ | ∈ ∋

Enantiomorphe Gegensätzlichkeit und nicht-enantiomorphe, d.h. optisch überlagerbare Identität beruhen in beiden Beispielen auf derselben symbolischen Grundoperation, nämlich der Spiegelung. Im ersten Fall erzeugt der Spiegel ein umgekehrtes Spiegelbild, während im zweiten Fall aufgrund der Organisation des Objekts um eine Spiegelachse keine Differenz durch Umkehrung im Spiegelbild entsteht. Und hier haben wir den Verbindungspunkt zur Topologie, denn solche Spiegelungen sind zentral für die Verbindungen zwischen den verschiedenen Objekten der Topologie, wie sie Lacan diskutiert. Eine Spiegelung des Möbiusbandes erlaubt es zum Beispiel, eine Klein'sche Flasche zu konstruieren, indem man die Kanten der Möbiusbänder aneinanderlegt (vgl. hier 3.4.).

Worauf kommt es hier also an? Wir können formal eine Differenz markieren, bei der kein Punkt des Originals mit dem Spiegelbild übereinstimmt. Original und Spiegelbild sind nur durch eine transformierende Vermittlung (die Umkehrung durch den Spiegel) miteinander identifizierbar. An sich, ohne diese Vermittlung, sind beide verschieden. Wenn wir jedoch den Spiegel- oder Reflexionszusammenhang als Ganzes noch einmal spiegeln, erhalten wir eine starke Identität zwischen Original und Spiegelbild. Aber diese Verdoppelung reicht nicht aus. Das Spiegelbild, obwohl identisch, bleibt ein virtuelles Bild; es ist keine wundersame Verdoppelung, sondern entsteht, wie beim optischen Spiegel, erst als Produkt der Spiegelung. Diese Einbeziehung des Virtuellen, d.h. des Raumes, der erst durch den Spiegeleffekt entsteht, ist keine zusätzliche Variable des Lacanschen Spiegeloperators, sondern muss als Teil seiner formalen Struktur betrachtet werden. Formal heißt hier, dass dieser virtuelle Raum Teil der Spiegeloperation selbst ist, die sich ja gerade dadurch auszeichnet, dass das von ihr erzeugte Objekt virtuell ist. Das heißt, das Virtuelle ist in jeder möglichen Variation der Spiegeloperation gegeben. Wir haben es hier also nicht einfach mit einer Übertragung aus der Geometrie zu tun. Doch zunächst zu den beiden Formeln des Phantasmas.

 

3. Das Phantasma

Das Phantasma als Objektstruktur der Angst wird zu Beginn des Seminars X diskutiert. Lacan verwendet mit fantasme einen ungebräuchlichen Begriff, um ihn als Fachterminus zu verwenden. Dies geschieht, um eine Identifikation mit der alltagssprachlichen Bedeutung von Fantasie zu vermeiden. Zumal das Alltagsverständnis hier imaginäre Strukturen impliziert. Daher werde ich diesen Lacan'schen Gebrauch verwenden, um eine formale Funktion zu markieren. Diese formale Struktur kann Bilder organisieren, aber sie ist nicht ursprünglich imaginär. Das Phantasma markiert dann das spezifische virtuelle symbolische Objekt, das durch die Spiegelungsoperation entsteht und sich immer auf ein reales und daher unbestimmtes Element bezieht, während das Imaginäre nicht durch eine solche Umkehrung strukturiert werden muss (Lacan 2015, S. 135). Denn das Unbestimmte ist kein Element des Imaginären. Bestimmtes und Unbestimmtes sind Begriffe, die ihren Sinn nur in einem formalen Kalkül (also im Symbolischen) entwickeln können und nur durch diese symbolische Struktur ist ein Bezug auf das Reale möglich (Lacan 2006, S. 151). Die Sinnlichkeit hingegen kennt keine Unvollständigkeit oder Unbestimmtheit und daher auch kein Reales im eigentlichen Sinne. In Bezug auf den Spiegel müssen wir das Reale in diesem Sinne verstehen: als formale Unbestimmtheit oder materielle Vielheit von Vielheiten (vgl. 3.3.). In beiden Fällen wird das Reale erst formalisierbar durch die Markierung einer formalen Sackgasse mit dem objet petit a, das im Folgenden in den Formeln immer einfach als (a) geschrieben wird. Das Reale wird also so bestimmt, dass „das Reale die Sackgasse der Formalisierung ist“ (Badiou 2005, S. 19).

Das Problem des Phantasmas, von dem Lacan spricht, ist „die Realität, insofern sie durch eine Struktur der Fiktion erzeugt wird“ (Lacan 2021, Seminar vom 19.05.1971). Hier ist nicht vom Realen die Rede, sondern von der Realität, die kein Erfahrungsbegriff ist, sondern den bestimmten historischen transzendentalen Rahmen meint, in dem Erfahrungen überhaupt gemacht werden können. Dieser ist – und hier bewegt sich Lacan auf Wegen, die schon Nietzsche und Freud beschritten haben – wesentlich fiktional, d.h. er beruht, um mit Nietzsche zu sprechen, auf Lügen oder, formaler ausgedrückt, auf notwendigen Fehlurteilen über die Welt, die durch die formale Struktur des Phantasmas selbst bedingt sind.

Nun ist es ein Grundprinzip der Operatoren, dass wir sie nur in ihrer Prozessualität verstehen. Um den Spiegeloperator zu verstehen, müssen wir uns also direkt ansehen, wie Lacan ihn verwendet. Er erklärt seine Funktionsweise im Detail, wenn er über das Phantasma spricht, d.h. über das fiktive Objekt der Angst. Dies ermöglicht ein tieferes Verständnis der Funktionsweise des Operators. Lacan diskutiert zwei Formeln für das Phantasma. Die erste dieser Formeln, die für den Perversen verwendet wird, zeigt, wie dieses Phantasma, das von der Fiktion gestützte Objekt, normalerweise durch den Spiegeloperator strukturiert wird:

𝐴
𝑎 | $

Diese Formel ist die erste von Lacan beschriebene Spiegelbeziehung. Es folgt eine kurze Erläuterung der Elemente dieser Formel: (a) ist das reale Objekt, ( | ) ist der Spiegeloperator selbst, (A) bezeichnet den Spiegel in seiner Strukturierung durch den Anderen und (wie wir in Abschnitt 3.5. sehen werden) ist das Spiegelbild. Diese Formel erfährt im Falle des Neurotikers eine Umstrukturierung, auf die wir später zurückkommen werden. Zunächst möchte ich diese Variablen (a), (A) und ($) weiter unterscheiden.

 

3.1. Das Spiegelbild

($) ist im Lacan'schen Sinne das Subjekt, das begehrt und zugleich vom Signifikanten gebarrt wird (Lacan 2014, S. 27). Dieser zentrale Begriff muss genauer gefasst werden. Als Symbol für das Subjekt wird das (S) in der Formel des Neurotikers verwendet (wie wir in Abschnitt 3.5. sehen werden) und dort explizit als Subjekt der idealistischen Tradition verstanden. Es ist das Subjekt als Kern und Ursache unserer epistemischen und praktischen Handlungen. Als Überbleibsel dieser idealistischen Idee verwendet Lacan diese Idee des Subjekts in einer reduzierten Bedeutung. (S) ist das Subjekt, reduziert auf das Strukturelement, dass es „sprechen“ kann, und zwar so, dass der unäre Zug ins Spiel kommt (Lacan 2010, S. 56). Dieses spezifische Sprechen ist in der Philosophie ein ‚Setzen‘. Dieses ‚Setzen‘ als Akt der Konstitution einer ‚Setzung‘ hat Heidegger als den impliziten Kern von Kants Subjektidee identifiziert (Heidegger 1976, S. 453-458). Da die idealistische ‚Setzung‘ auf ihr grundlegendes Handeln zurückgeführt wird, bedeutet sie eine kohärente Artikulation von Einheit, entweder innerhalb eines Systems oder Kontextes oder durch die Setzung eines Axioms zur Schaffung eines Systems. Es handelt sich um das Subjekt, das durch das nicht gebarrte (S) als sprechendes Subjekt bezeichnet wird. An dieser Stelle verschiebt die Freudsche Einsicht in die Grundstruktur des Begehrens die Perspektive weg von der idealistischen Konzeptualisierung. Das Subjekt ist nicht mehr a priori und sein Handeln kann nicht auf ein axiomatisches „Diktat der Vernunft“ (Fichte 1988, S. 26) reduziert werden.

Im Fall des Phantasmas des Perversen spricht das Subjekt nicht oder setzt es, sondern es hat immer schon gesprochen, und das perverse Subjekt unterstützt dieses Sprechen nur (Lacan 2010, S. 188-189). Diese Reduktion des Subjekts wird durch den Strich über (S) markiert. Damit ist ($) eindeutig nicht mehr „Kern“ und „Ursache“ der Setzung, sondern deren Produkt als Signifikant. Der Begriff Signifikant bezieht sich hier also auf rein symbolische Zeichenstrukturen, also auf das, was repräsentiert, im Gegensatz zum „Signifikat“, das die vermeintliche Bedeutung ‚hinter‘ dem Zeichen ist. Ich interpretiere diese Markierung im Hinblick auf die Setzung als Kern des Subjekts also so, dass sich das Subjekt hier nicht in einer aktiven oder schöpferischen Rolle befindet, sondern als Subjekt innerhalb eines bereits etablierten Diskurses, einer durch den Signifikanten erzeugten Welt (Lacan 2010, S. 100), verortet ist. Das Subjekt spricht also weder aus sich selbst heraus, noch ist sein Sprechen ein konstruktiver oder kreativer Prozess. Die sprachliche Struktur, die hier im Mittelpunkt steht, ist also das gesprochene Wort, als gewöhnliche Äußerung, nicht als realer Akt eines Subjekts, sondern als dessen Spur. Dementsprechend können wir ($) als das Schon-Da des Heideggerschen „Man“ verstehen, die unbewusste Ordnung der Bedeutungen, die der Sprache eingeschrieben ist, in der sich das Subjekt befindet. Das bedeutet auch, dass der Balken (d.h. der Balken über dem Subjekt) das Subjekt als postulationsfähig negiert (im Gegensatz zur idealistischen Tradition). Stattdessen markiert sie eine bereits postulierte Position, die vom perversen Subjekt aktiv aufrechterhalten wird. Das aktive Subjekt (S) ist also nicht Teil des Phantasmas des Perversen, sondern kann als dessen implizite Grundlage angenommen werden. Vereinfacht ausgedrückt ist das Objekt, das durch diesen Spiegel geschaffen wird, der bereits existierende, strukturierte und organisierte soziale Rahmen, der unbewusst ist. Dieser Rahmen wird nicht vom perversen Subjekt geschaffen, sondern der Perverse stützt sich auf den gesellschaftlichen Rahmen, den er immer schon voraussetzt.


3.2. Der Spiegel

Der Andere (A), nicht der optische Spiegel, ist bei Lacan als Spiegelfunktion zu betrachten (Lacan 2010, S. 68). Das bedeutet, dass es sich um einen intersubjektiven und nicht um einen optischen Spiegel handelt. Genau genommen verwendet Lacan den Spiegel hier also als formale Metapher, d.h. als Übertragung eines Nexus von Regeln und Zusammenhängen in einen anderen Kontext. Lacan ist sich bewusst, dass eine Spiegelfunktion nicht das zeigt, was da ist, sondern ein verschobenes Spiegelbild, formal gesprochen ein Enantiomorph des Originals. Aber im Unterschied zur normalen enantiomorphen Struktur, die wir in unseren eigenen Händen sehen, wird ($) nicht durch eine optische Beziehung zwischen zwei realen Objekten strukturiert, sondern durch den großen Anderen als Funktion der Sprache. Die Spiegeloperation und die durch sie erzeugte Transformation sind symbolisch, weil das durch sie erzeugte Objekt rein strukturell ist. Vor allem aber ist das Objekt als ($) virtuell, d.h. es existiert, ähnlich wie der ursprüngliche Kontext der Metapher (das Bild im Spiegel), nicht als eigenständiges Objekt, sondern nur als Effekt des Spiegels. Dieses erzeugte Objekt ist das Phantasma, insofern es durch den intersubjektiven Spiegel (A) erzeugt wird.

Virtualität hat eine spezifische Bedeutung, die mit Bergson in den modernen philosophischen Diskurs eingetreten ist. Virtuell bedeutet in diesem Sinne: „Es gibt ein Anderes, ohne dass es mehrere gibt; die Zahl existiert nur potenziell“ (Deleuze 2007, S. 59). In der Psychoanalyse ist diese Virtualität des Phantasmas letztlich in dem begründet, was Freud die Hypermnesie des Unbewussten nennt, die davon ausgeht, dass jeder Signifikant in einer starken assoziativen Beziehung zu einer ganzen Reihe von Signifikanten steht und immer durch Verschiebung oder Verdichtung modifiziert werden kann. Diese Modifizierbarkeit des Objekts erzeugt ein Spiegelbild, das als etwas strukturell unglaublich Instabiles betrachtet werden muss, da es nur durch den „Signifikantenschatz“ (Lacan 2015, S. 341) des Anderen und die darin enthaltene Einheit des Namen-des-Vaters aufrechterhalten wird. Das bedeutet, dass das phantasmatische Objekt, wie Lacan es für den Perversen formuliert, ein sozial aufrechterhaltener assoziativer Bedeutungskomplex ist, der keine Grundlage außerhalb des sozialen Spiegeleffekts hat, der ihn hervorgebracht hat. Andererseits erscheint dieses Objekt dem Perversen als das solideste Ding selbst, insofern diese strukturelle Grundlosigkeit unbewusst ist, da die Erzeugung von ($) niemals subjektiviert wird. Da ($) eine bereits existierende Vielheit von Signifikanten ist, ist es auch vollständig bestimmbar, was ihm den Effekt einer klaren und eindeutigen Erscheinung verleiht. Dieses System kann komplex sein, aber es bringt nichts anderes hervor als Signifikanten, die sich auf Signifikanten beziehen. Wir müssen also davon ausgehen, dass (A) kein imaginärer Spiegel sein kann, denn das Objekt, das er hervorbringt, ist nur Struktur. Es ist streng genommen eine Form ohne Inhalt.

 

3.3. Das Original

Trotz dieser Virtualität des Spiegelobjekts müssen wir, wenn wir (A) als Spiegeloperator bezeichnen, davon ausgehen, dass sich (a) und ($) für Lacan wie Enantiomorphe zueinander verhalten. Enantiomorphe Formen sind per definitionem ein Paar von Objekten, die sich als Spiegelbilder aufeinander beziehen, was aber auch bedeutet, dass diese Formen in keiner Weise so umorientiert werden können, dass sie übereinstimmen. Formal kann eine enantiomorphe Form durch identische Beziehungen innerhalb der Enantiomere strukturiert sein, aber es bleibt ein absoluter Unterschied zwischen den beiden. Sie benötigen den Spiegel, in diesem Fall (A), um zueinander in Beziehung zu stehen. Da weder (a) noch ($) als imaginär betrachtet werden können (Lacan 2010, S. 56), muss ihre Spiegelidentität bzw. der Spiegeltransformator symbolisch sein. Die sinnvollste Lösung scheint mir der Weg zu sein, den Alain Badiou in Das Sein und das Ereignis eingeschlagen hat, indem er eine reine (d.h. unstrukturierte) und reale Vielheit annimmt (Badiou 2005, 19, S. 299). Das ursprüngliche (a) als rein materielle Vielheit zu bezeichnen, könnte dann Reichtum oder Fülle suggerieren, aber es ist ohne Form oder Ordnung und daher unbestimmt. Das macht (a) von der Einheit her zu einem Rest oder einer Abwesenheit, von der wir nur sprechen können, wenn wir uns des bedeutungsfreien Denkens eines Kalküls bedienen. Das Symbol (a) ist in diesem Sinne nur der Marker für reine Mengen ohne inhärente Ordnung. Hier zeigt sich deutlich der absolute Unterschied zwischen ($) als unbewußtem, aber bestimmbarem System von Bedeutungen und (a) als unbestimmter Vielheit. Wir können aber auch sehen, wie (a) und ($) als gleichwertig betrachtet werden können, denn das lexikalische System von ($) ist nicht gestützt, sondern ein virtuelles System lexikalischer Relationen, das auf nichts beruht und aus nichts (oder leeren Relationen) besteht. Der Rest (a) hingegen ist rein materiell, aber nicht verständlich, weil ihm genau die Struktur fehlt, die wir in ($) finden. Im Falle des Perversen reflektiert (a) durch den Anderen als Spiegel das, was es selbst ist, aber invertiert als unbewusst strukturiertes Objekt ($). Die materielle Vielheit von Vielheiten spiegelt sich also in einer formalen, aber leeren Systematik, die als virtuelles Objekt bereits im Ort der Sprache, dem großen Anderen, konstituiert ist. Dem Perversen erscheint das Objekt als strukturiert, ohne dass das Fehlen dieser Struktur oder das Fehlen des Restes als solches sichtbar wird.

Eine solche Vielheit von Vielheiten ist uns nur durch die philosophische Spekulation gegeben. Es gibt keine mögliche empirische oder phänomenale Zugänglichkeit zu ihr, sondern wir bewegen uns hier in einer spekulativen Einsicht, die als Differenz zur onto-theologischen Einheit gemacht wird. Eine solche Vielheit von Vielheiten ist nicht ‚jenseitig‘ oder mystisch. Sie muss auch nicht inkonsistent sein, solange wir sie hier nicht anders konstruieren als durch die Annahme, dass der Form ein Ungeformtes vorausgeht. Dass es plausibel ist, Lacan hier so zu interpretieren, ergibt sich nicht nur aus dem von ihm eröffneten Raum, also mit Blick auf die philosophische Interpretation der Lacanschen Psychoanalyse, sondern auch aus der von Lacan vertretenen Position, dass Einheit konstruiert ist und damit einen Rest lässt.

Das Phantasma des Perversen erscheint zunächst formal als transzendentale Struktur der Reflexion. Eine materielle unbestimmte Vielheit (a) wird durch eine formale Reflexion ($) sichtbar gemacht, die durch eine Transformationsoperation einer sprachlichen Struktur (A) ermöglicht wird. Die Idee ist, dass komplexe Systeme ($) letztlich auf einem realen Ding basieren und dieses reflektieren, dass dieses Ding aber nur als Abwesenheit von Intelligibilität (a) gedacht werden kann. So würde auch der gesunde Menschenverstand annehmen, dass ein Spiegeloperator funktioniert, indem er ein Spiegelbild erzeugt, das nicht identisch ist, aber sichtbar macht, was sonst nicht sichtbar wäre. Bemerkenswert ist, dass hier beide Seiten des Spiegels als unbewusst, als bereits vorhanden und nicht vom Subjekt konstruiert erscheinen müssen, da das Subjekt selbst (S) hier ausgeschlossen ist. Daher ist es auch sinnvoll, das Phantasma des Perversen ein normales zu nennen, da es die Struktur eines gewohnheitsmäßigen und impliziten Sprachgebrauchs ist.

 

3.4. $ als Schnitt von a

Jedem aufmerksamen Leser von Lacan fällt hier auf, dass die Formel des Perversen eine Umkehrung der Formel des Begehrens ($ ◇ a) ist. Lacan verwendet hier scheinbar die gleichen Elemente, nur invertiert und mit dem wichtigen Unterschied, dass der Operator hier ein anderer ist. Wie lässt sich dies mit der Formel des Perversen verbinden? Was meint Lacan zunächst mit der Formel des Begehrens? Im Seminar IX weist Lacan darauf hin, dass die Formel einen Schnitt ausdrücken soll, ein zentrales Element der topologischen Strukturen, die auch mit den Spiegelstrukturen zusammenhängen. Die Formulierung dieses Schnitts lautet ($) ist ein Schnitt von (a) (Lacan 2002a, S. 227). Diese Formulierung ist wenig problematisch, wenn wir uns vergegenwärtigen, welche Art von Schnitt oder Differenz Lacan hier markiert. Lacan geht nicht von einem Differenzbegriff aus, der ein Eines und ein Anderes denkt. Lacan geht es, wie er im Seminar XIII ausführt, um eine Differenz, die zunächst in einen unendlichen oder unbestimmten Raum eingeschrieben ist (Lacan 2002b, Seminar vom 15.12.1965). Eine Differenz, die der Differenz zwischen „Ich“ und „Nicht-Ich“ noch vorausgeht und die erste Konstitution der Grenze des „ozeanische[n] Gefühls“ markiert (Freud 1930, S. 425). Wie kann eine solche Grenze gedacht werden? Lacan entwickelt in Anlehnung an Eulers logische Topologie ein Konzept des Denkens der Unterscheidung, das streng topologisch gedacht ist, aber auf anderen ontologischen Annahmen beruht. Wo also wird die Unterscheidung – als Schnitt – eingeführt? Diese Einführung geschieht nicht in der Weise, dass ein Feld von einem anderen abgegrenzt wird (hier wären wir wieder direkt beim Problem des Einen und des Anderen). Vielmehr geht es zunächst um die Konstitution eines Einen auf der Basis des ozeanischen Unbestimmten. Lacans Lösung dafür ist das Möbiusband, das die Form des Schnittes durch einen unbestimmten zweidimensionalen Raum ist. Wie lässt sich dieser Schnitt zunächst in seinen Funktionen darstellen? Lacan wählt dazu im Seminar XIII folgende Darstellung (Lacan 2002b, Seminar vom 15.12.1965):

In dieser zweidimensionalen Fläche müssen wir zunächst den Begrenzungsgedanken völlig aufheben, d.h. die hier mit A, B, C und D bezeichneten Punkte am oberen Kreisrand, die hier nur als Verständnishilfe dienen, sind absolut identisch mit den Punkten am unteren Kreisrand. Auch hier ist der Kreis nur eine zufällig gewählte Form, die wir auch als topologisches Quadrat ausdrücken können. Wenn wir diese (rein formale) Fläche in der Mitte durchschneiden (wie dargestellt), erhalten wir eine Fläche mit nur einer Kante. Wir erhalten also ein Möbiusband als eine Fläche mit einem Loch und einer einzigen Kante oder Differenz. Lacan sucht hier also nach einer Möglichkeit, das Eine nicht als Absolutes zu denken, auch nicht als ein „Eines gegen ein Anderes“, sondern als eines, das aus einem Loch und einem Schnitt heraus gedacht werden kann. In diesem Sinne handelt es sich um eine Henologie des Nicht-Allen, wie sie Jacques-Alain Miller (2021, S. 18-19) formuliert, die zugleich deutlich mit den klassischen Varianten der Henologie bricht, die das Eine und die Allheit zur zentralen Voraussetzung haben. Dieser Platonismus des Lochs oder eben ein Platonismus des Ab-Grundes, den Freud und Lacan so entwickeln, markiert hier also ein ganz anderes Denken des Einen, als es in platonischen oder neuplatonischen Modellen zu finden ist. Dieses Eine ist die Folge einer Differenz im Unbestimmten und daher nicht ursprünglich.

Von hier aus ist es nicht schwer, zur Formel des Perversen zurückzukehren, denn die Perversion markiert bei Freud nicht einfach einen pathologischen Zustand, sondern auch die frühen Formen der Subjektivität (Freud 1905, S. 49). D.h. wir sehen in der Formel des Perversen die erste Formulierung einer solchen Einheit des Subjekts: Das perverse Subjekt konstituiert sich, ausgehend von der materiellen Vielheit der Vielheiten (a), die es selbst nicht artikulieren kann, als ($) mittels der gegebenen Sprache (A). Zugleich wird hier unbewusst der Perverse mit dem kleinen Objekt a identifiziert, da sich hier das (a) als das Reale der materiellen Wirklichkeit manifestiert. Die Formel des Begehrens kann daher von hier aus sinnvoll als in (a) als dem Überschuss der sprachlich konstituierten Einheit ($) begründet verstanden werden. Was sich entsprechend auch als Ausgangsproblem der topologischen Überlegungen im Seminar IX finden lässt (Lacan 2002a, Seminar vom 28.03.1962). Die Formel des Perversen markiert also im Gegensatz zur Formel des Begehrens eine Struktur der Subjektidentität oder des Subjekts auf der Basis einer realen Unbestimmtheit. Die Formel des Begehrens hingegen, die unabhängig von der Form dieser Subjektidentität ist, bestimmt mit dem Schnittoperator (◇) das Begehren als über das vom Signifikanten markierte Eine des Subjekts hinausgehend. Wir sehen hier also zwei Varianten, in denen diese Grundfigur des Einen jeweils die Abwesenheit einer Beziehung zu einem Bestimmten fokussiert, dabei aber ein Unbestimmtes einschließt.

 

3.5. Struktur: Das Phantasma des Neurotikers

Die weitere Rekonstruktion des Spiegeloperators muss anhand des Falles des Neurotikers vorgenommen werden. Dies ist die zweite Formel, die bestimmt, wie das Phantasma für den Neurotiker funktioniert:

𝐴
𝑆   | 𝑎 $

Die Formel ist zwar wieder durch eine reale und eine gespiegelte Seite strukturiert, aber der Inhalt der Variablen auf beiden Seiten des Spiegeloperators verändert die Formel ziemlich dramatisch, da das gespiegelte Bild nicht invertierbar ist. Für den Neurotiker spiegelt sich das reale Bild des sprechenden Subjekts (S) in einem virtuellen Bild, das die beiden Enantiomorphe des Perversen (a $) enthält. Lacan stellt fest, dass diese Enantiomorphe als Doppelgänger des Originals erscheinen (Lacan 2010, S. 127). Er bemerkt auch, dass der Neurotiker symmetrisch strukturiert ist (Lacan 2016, S. 206-207). Das bedeutet, dass es für den Neurotiker keinen Unterschied qua Spiegelbild gibt, sondern dass die Struktur des Phantasmas mit dem realen Bild identisch ist. Der unmittelbare Unterschied zwischen dem Realen und dem Spiegelbild, der für das perverse Subjekt gilt, was wir als Umkehrung in der optischen Spiegelung wahrnehmen können, ist für den Neurotiker nicht gegeben. Das bedeutet, dass es im neurotischen Phantasma keine enantiomorphe Beziehung zwischen (S) und (a $) gibt. Geht man von der optischen Funktion des Spiegels selbst aus, so ist das Spiegelbild zweier enantiomorpher Bilder selbst nicht enantiomorph, sondern identisch. Es bedarf nicht mehr des Spiegels als Vermittler, um mit dem Spiegelbild identifiziert zu werden, aber der Spiegel konstruiert gleichwohl das Spiegelbild.

Das bedeutet, dass (S) sowohl (a) als auch ($) enthalten muss, die auf eine zentrale Achse ausgerichtet sind. Auf einer rein formalen Ebene konstruiert der Spiegeloperator also, während er dieselbe Spiegeloperation ausführt, nicht die Differenz des virtuellen Bildes, sondern etwas, das formal nicht von einem realen Bild unterschieden werden kann. Es ist also nicht umkehrbar, wie Lacan betont, denn topologisch befinden wir uns hier im Feld der Kleinschen Flasche, in dem der Neurotiker selbst mit dem objet petit a markiert ist (Lacan 2010, S. 257-259). Aus diesem Grund sagt Lacan, dass der Neurotiker uns zeigt, wie das Phantasma funktioniert (Lacan 2010, S. 69), insofern wir die gesamte Struktur selbst sehen, die durch den Spiegeloperator verdoppelt wird. Die Formel des Perversen hingegen wird aus der Perspektive des Neurotikers durch den Anderen halbiert, und das sprechende Subjekt ist, wie bereits erwähnt, nur noch als Spur vorhanden. Der Rest dieses Verlustes selbst (a) wird im gespiegelten Objekt nicht sichtbar gemacht. Nun wird dieser Verlust in der Reflexion des Neurotikers als (a) im virtuellen Bild explizit formuliert. Dies ist die formale Grundlage für die, wie Lacan sagt, perversen Phantasmen des Neurotikers. Auf der formalen Ebene des verdoppelten Spiegelbildes bedeutet dies, dass das Phantasma des Neurotikers so organisiert ist, dass es die vollständige Spiegelstruktur des Perversen in einem virtuellen Bild reproduziert, das beide Enantiomorphe enthält. (a $). Aus der logischen Struktur folgt also eindeutig, dass der Neurotiker perverse Phantasmen hat, insofern diese die Struktur des Phantasmas des Perversen vollständig reproduzieren, die logische Struktur reflektiert dies und zeigt, wie gründlich Lacan den Kalkül anwendet.

 

4. Angst und Einheit

Die Angst ist das, was Lacan mit den beiden formalen Spiegelbeziehungen des Perversen und des Neurotikers zu diskutieren versucht, und sie spielt eine zentrale Rolle bei der weiteren Differenzierung des Spiegeloperators. Was im Spiegel erscheint, ist in beiden Fällen die formale Position des Phantasmas, die der Neurotiker und der Perverse unterschiedlich ausfüllen; es ist die Angst als Funktion der Leere (Lacan 2010, S. 78). Es ist also die Angst, die wie ein Loch oder eine Grenze der konstituierten Einheit wirkt, die der Operator des Spiegels erzeugt. Ich habe die Formeln, die Lacan verwendet, um das Phantasma des Perversen vom Phantasma des Neurotikers zu unterscheiden, mit dem Fokus auf die Spiegeloperation diskutiert. Nun muss das Spiegelbild als virtuelles Produkt der Spiegeloperation ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken.

Für den Perversen ist das virtuelle Bild das gebarrte Subjekt ($). Dieses gebarrte Subjekt ($) ist qua Spiegelbildlichkeit immer absolut verschieden vom Realen (a). Es bedarf daher immer der Vermittlung des Spiegels. Rekapitulieren wir dieses Charakteristikum des perversen Phantasmas: Diese Welt der reinen Signifikanten ist ein leerer Abgrund möglicher Definitionen und Zuschreibungen. Aber dieser Abgrund der Möglichkeiten ist nicht explizit, denn er erscheint einfach durch den Anderen, der als Spiegeloperator fungiert. Er erscheint dem Perversen nicht als bedrohlich. Durch diese Vielzahl virtueller Zuschreibungen wird der Perverse durch den Anderen (A) gespiegelt, was bedeutet, dass sein Spiegelbild als Subjekt ohne Subjektivität erscheinen muss, wenn wir die Subjektivität des Subjekts im Sinne einer Entität verstehen, die in der Lage ist, eine auf ihrem Begehren basierende Bedeutung zu „setzen“ oder zu konstituieren. Dieses Phantasma als „Realität, insofern sie durch eine Struktur der Fiktion erzeugt wird“ (Lacan 2021, Seminar vom 19.05.1971), erscheint somit als das Schon-Da der bezeichnenden Welt, die der Perverse nicht selbst gesprochen/geschaffen hat. In dieser Situation erscheint die durch Fiktion erzeugte Wirklichkeit als ein Sprachspiel, in dem der Perverse zwar mitspielt, aber nichts zu sagen hat. Das bedeutet auch, dass es für den Perversen nichts gibt, was die Wahrheit dieses Sprachspiels garantiert, außer einem Rest oder einer Spur des unverständlichen Realen (a). Das ist die Erscheinung des virtuellen Spiegelbildes für den Perversen. Das bedeutet, dass sich diese Realität theoretisch leicht in einen Abgrund von bedeutungslosen Wörtern verwandeln kann, aber das bedroht den Perversen nicht, weil das Fehlen eines Haltes nie als solches verständlich gemacht wird.

Nun ist die Einführung der Identität als „Ich bin“ oder „Ich denke“ ursprünglich „operzipiert“, wie Lacan es im Seminar XVII nennt; es handelt sich um eine begriffliche Verschmelzung von Perzeption und Operation (Lacan 2006, S. 160). Diese Einheit des Subjekts ist weder einfach als Wahrnehmung oder Präsenz gegeben, noch ist sie eine rein formale symbolische Struktur. Die symbolische und die imaginäre Dimension sind hier miteinander verwoben, und dies muss hier als ein zentrales Merkmal der perversen Identität verstanden werden, in der das symbolische Selbstbild keinen Rest mehr hat. Was bedeutet das hier? Auf einer rein imaginären Ebene kann die Abwesenheit des objet petit a nicht eingeführt werden, dort ist alles Gestalt (Lacan 1991, S. 75). Das bedeutet, dass im Operzipierten zwei Konzepte des Einen miteinander verwoben sind. Einheit und Ganzheit auf der imaginären Ebene, auf der jedes Eine von anderen Einen umgeben und inkorporiert zu sein scheint, und auf der symbolischen Ebene, auf der die Einheit eine Unterscheidung qua Schnitt zwischen dem Unbestimmten und dem Bestimmten ist. Die symbolische Operation des Perversen ist also imaginär begrenzt, durch die scheinbare Absolutheit der Sprachspiele.

Dennoch gilt: Jede symbolische Unterscheidung als Identifikation produziert unbestimmte Räume, die mit dieser Unterscheidung verbunden sind, oder im Lacanschen Sinne das objet petit a. Während wir bei imaginären Unterscheidungen nie von der Leere ausgehen, gehen Unterscheidungen als solche (als symbolische Struktur) immer von einer Funktion der Leere aus.

Im Fall des Neurotikers wird es entsprechend komplizierter, denn hier ist das Spiegelobjekt nicht nur die bestimmte Struktur, sondern auch das materiell Unbestimmte des Perversen, das (a), das das ($) explizit als unvollständig markiert. Dieses (a) wird so zum Virtuellen und damit zu einem Pastiche (Lacan 2010, S. 70), einer Imitation, aber wovon? Von der Realitätsbeziehung des Perversen. Während das objet petit a in der Formel des Perversen als das unbestimmte Reale galt, bezieht Lacan es nun als symbolischen Rest in das Spiegelbild mit ein. Hier ist der Schnitt nicht mehr als solcher sichtbar, wenn wir hier die toplogische Transformation vom Möbiusband zur kleinen Flasche annehmen. Er strukturiert nicht mehr als materiell Reales die gesamte Spiegelstruktur, sondern geht in das Spiegelbild ein und kann moduliert werden (Lacan 2010, S. 70). Diese Modulation, wie Lacan sie beschreibt, zeigt, wie der ursprünglich materielle Rest nun formalisiert wird: als unbestimmte Variable, die vom Neurotiker auf unzählige Weisen gefüllt werden kann. Der Unterschied zwischen dem Neurotiker und dem perversen Spiegelobjekt besteht also nicht nur darin, dass die Abwesenheit des Signifikanten durch (a) explizit wird, indem der Rest Teil des Spiegelbildes wird, sondern auch darin, dass dieser nun sichtbare Rest selbst als Virtuelles fungiert. Schließlich, und das ist das Wichtigste, hat der Neurotiker kein Spiegelbild, das sich vom realen Bild unterscheidet, sondern es erscheint als Doppelgänger, weil es strukturell identisch ist.

Dieser unbestimmte Exzess ist außerhalb eines formalen Kalküls schwer zu definieren, aber er funktioniert im Wesentlichen wie Kants unendliche Urteile. Für Kant wird das unendliche Urteil durch den Satz „die Seele ist nicht sterblich“ veranschaulicht. Dieses Urteil setzt die Seele als außerhalb der Sterblichkeit stehend voraus, ohne zu definieren, was dieses Außerhalb ist, und schafft damit einen unendlichen Raum möglicher Zuschreibungen, der gerade durch den Ausschluss der Sterblichkeit definiert ist. Das Objekt (a) macht diese Virtualität explizit, indem es dieses unbestimmte Feld in das Phantasma einführt. Nun kann dieses Objekt a streng genommen nicht als solches in Erscheinung treten, da das Unbestimmte nur als Scheitern von Bestimmungen greifbar ist. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, wie man in guter Horrorliteratur oder in Horrorfilmen sehen kann, dass dieses Objekt (a) das, was mit ihm erscheint, nicht verändert, sondern die harmlose Szene in eine schreckliche verwandelt, ohne dass das, was faktisch da ist, verändert werden muss. Im Falle dessen, was unheimlich wird, eröffnet dieses Objekt (a) eine bedrohliche Leere an Möglichkeiten. Dies wäre natürlich nicht möglich, wenn es nicht gleichzeitig eine erwartete und eindeutige Ordnung der Dinge gäbe, die durch das ($) bestimmt wird. Und hier können wir feststellen, dass sich faktisch nichts ändert, außer der Art und Weise, wie die Ordnung der Dinge das Unbegreifliche zu enthalten scheint. Diese Virtualität destabilisiert die Stabilität der „Realität als durch eine Struktur der Fiktion erzeugt“ (Lacan 2021, Seminar vom 19.05.1971). Die Wirklichkeit, soweit sie intelligibel ist, erscheint als unvollständig, ja unverständlich.

Das Spiegelobjekt des Neurotikers enthüllt also, was das Spiegelobjekt des Perversen verbirgt: die Unvollständigkeit und Haltlosigkeit der Welt qua Signifikant. Die Angst erlaubt also eine Anzeige dessen, was die Funktion des Schnitts ermöglicht, und enthüllt eine merkwürdige Verbindung des großen Anderen in der Rolle des Spiegels und des Schnitts, der die Einheit konstituiert: „Die Angst ist dieser Schnitt – dieser reine Schnitt [...]“ (Lacan 2010, S. 101). Und sie enthüllt noch mehr: Das Original, das gespiegelt wird, ist (S) als das ungebarrte sprechende Subjekt. Noch wichtiger ist, dass diese Struktur des Neurotikers zeigt, dass diese Identifikation mittels des Spiegeloperators aus zwei Gründen nicht original ist: Erstens ist die neurotische Identifikation eine Wiederholung der Struktur des Perversen, und zweitens unterscheidet der virtuelle Raum die beiden Seiten als nicht-identisch, auch wenn die beiden Seiten gleichwertig sind. Beide Seiten sind gleichwertig, weil es eine Verdoppelung der formalen Struktur gibt, aber nicht identisch, weil die Verdoppelung ein virtuelles Produkt der Spiegelung ist. Es ist wichtig zu beachten, dass in diesen Formeln nur eine einzige Spiegelung im Mittelpunkt steht, die den Unterschied zwischen real und virtuell ausmacht, was der Grund dafür zu sein scheint, dass es nur einen einzigen Spiegelungsoperator gibt. Diese Spiegelung enthält zwar ein Element, das das „Produkt“ einer Spiegelung in Form von überlagerbaren Strukturen sein könnte, aber diese primäre Spiegelung selbst ist für die Operation nicht mehr relevant, auch weil sie vollständig in das Virtuelle übertragen wird. Dies lässt die Untersuchung jedoch mit Fragen zurück (das Problem der Angst und des Anderen, die gleichermaßen eine Funktion der Leere markieren), die nicht durch einen Rückgriff auf die Neurose entschlüsselt werden können. Um das Spiegelbild besser zu verstehen, muss man es daher dort betrachten, wo diese Struktur scheitert: in der Psychose.

 

5. Das Spiegelbild in der Psychose

Interessant ist zunächst, dass die quasi gescheiterte oder unvollständige Identifikation des perversen Subjekts als einer operzipierten Gestalt, die keine Identität durch ihren Vermittler hervorbringt, notwendig ist, um die Identität des Neurotikers zu konstruieren. Es handelt sich also um eine Art ex falso quodlibet, ein Schließen aus dem Unwahren. Aber um welche Art von Scheitern handelt es sich hier? Für das neurotische Subjekt ist die perverse Subjektivität selbst die Voraussetzung für die Identifikation zwischen Original und Spiegelbild, d.h. zwischen (S) und (a $). Lacan formuliert dies in Anlehnung an Freud als: „Neurotiker haben perverse Phantasmen“ (Lacan 2010, S.69). Was diese beiden Formeln der Phantasma verbindet, ist die Verwendung des topologischen Effekts der Spiegelung, angewandt auf die Idee der subjektiven Reflexion als Selbstrelation. Die Identifikation des perversen Subjekts scheitert an der imaginären Gestaltform der symbolisierten Identität ($ oder das Kind im Spiegel), sie ist als solche frustrierend. Es scheint mir kein Zufall zu sein, dass das Spiegelbild des Perversen ohne den Exzess des objet petit a erscheint. Das Objekt im Spiegel ist gestalthaft, weil weder die Abwesenheit dieses Objekts noch die Abwesenheit im Anderen in der Beziehung des Perversen zugänglich ist, der selbst das Objekt ist, ohne es als solches konzeptualisieren zu können. Implizit ist das, was wir mit (a) symbolisch markieren, schon da, aber wir können es nur retroaktiv aus dem Neurotiker heraus postulieren. Das Falsum des Perversen ist also die operzipierte (theo-)logische Vorstellung, dass A=A (Lacan 2002a, Seminar vom 06.12.1961). Aber wie kommen wir dahin?

Geht man davon aus, dass (S), wie Lacan explizit sagt, die „klassische Konzeption des Subjekts unter der einzigen Bedingung steht, dass wir das Subjekt auf die Tatsache beschränken, dass es spricht“ (Lacan 2014, S. 40), den Archetyp des Systems spätestens seit Kant, was bedeutet das für dieses Subjekt? Ist (S) ein Effekt oder, wie im Fall von (a) im Perversen, ein Ursprung? Ich würde vorschlagen, dass es sich um eine rückwirkende Setzung handelt, wie Slavoj Žižek in Bezug auf unsere grundlegenden Entscheidungen argumentiert (Žižek 2012, S. 157). Es ist das wissenschaftliche Objekt, das Freuds Psychoanalyse eingeführt hat. Ein Objekt, das erst durch die symbolische Formulierung der Formeln eingeführt wird. Der „Neurotiker“ ist in diesem Sinne also ein Kalkül, das uns erlaubt, etwas im Realen sichtbar zu machen, nicht anders als Wittgenstein (1976) es in seiner Philosophie der Mathematik formuliert, im Unterschied zum imaginären Versagen des Perversen. Indem wir im imaginären Wirklichen mit seinem gefühlsmäßigen Überschuss verharren, sind wir auf einen Zugang zu diesem Wirklichen fixiert, der immer wieder verschwindet.

Auf der symbolischen Grundlage dieser Überlegungen können wir uns dem Subjekt nicht nur in der imaginären Einheitsstruktur nähern, denn dieses Subjekt ist durch die Signifikantenstruktur ($) mit ihrem Exzess (a) als Subjektfunktion ausgeschlossen. Stattdessen ist das Subjekt dann als Effekt oder Funktion der Annäherung an das objet petit a. Diese Annäherung als solche ist dann das, was wir anstelle des Ganzen des Systems erhalten (Lacan 2011, S. 95). In diesem Fall nähern wir uns (S) als dem Ursprung nur durch die Reflexion der perversen Phantasmen, d.h. durch die Integration des perversen Phantasmas in das neurotische Phantasma. Da diese perversen Reflexionen nun einen Weg bieten, etwas zunächst Fremdes (das Reale als objet petit a) in das Subjekt zu integrieren, sagen sie uns auch etwas über den Status von (S), dem realen Ursprung der Spiegelbeziehung des Neurotikers. Wenn die neurotische symbolische Struktur ein Doppel erzeugt, wenn der Spiegel sie als Operator strukturiert, muss dieses (S) immer schon die Batterie des Signifikanten ($) und des Mangels (a) integrieren. Dabei handelt es sich jedoch nicht um einen durch Frustration hervorgerufenen Mangel, der aus der Dissonanz zwischen imaginärer Einheit und realer Unfähigkeit entsteht – eine Situation, die im Grunde eine logisch-formale Dissonanz ist, da ‚Einheit‘ kein empirischer oder klinischer Begriff ist. Vielmehr muss diese Einheit auf einer anderen Ebene verstanden werden, in der Interaktion zwischen dem Imaginären und dem Realen. Es handelt sich vielmehr um einen Mangel, der nur symbolisch bezeichnet werden kann, nämlich Kastration als formale Unmöglichkeit, Einheit als Ganzes zu erreichen. Auch dies ist eine begriffliche Negation, denn die ‚Erfahrung‘ der Kastration gibt es nicht ohne den imaginären bzw. operzipierten Zwang, das Symbolische in Einheiten zu denken.

Das Subjekt – im emphatischen Sinne der Philosophie – wird hier also als ein Kreisen um / eine Annäherung an das objet petit a verstanden. Dieses zunächst befremdliche Ergebnis klärt sich, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass Lacan seinen Entwurf der Psychoanalyse mit der klinischen Forschung zur Psychose beginnt, wo genau dieses Phänomen des Kreisens (Lacan 2015, S. 48) um ein Unbestimmtes zentral hervortritt. Im Rückgriff auf Seminar III können wir auch klären, wie sich das hier bisher vernachlässigte Element des großen Anderen (A) verhält, wenn wir es zunächst als Teil einer grundlegend transformierten Spiegeloperation betrachten. Im Lichte der Psychose-Theorie, die Lacan in seinem dritten Seminar darlegt – eine Theorie, die ich aus der Perspektive seines Spätwerks interpretiere, also nicht in einem historisch-genetischen, sondern in einem entfalteten Sinne –, kann die Struktur des Anderen in der Spiegeloperation weiter erklärt werden.

Zunächst ist auf die paradoxe Situation des großen Anderen (A) in der Psychose hinzuweisen, die hier eine logische Neuordnung der Subjektposition innerhalb des durch den Spiegeloperator markierten Feldes ausdrückt. Lacan vertritt die Grundannahme, dass der große Andere in der Psychose verloren geht, d.h. dass die Instanz, die bisher die Spiegeloperation in den Formeln getragen hat, hier ersetzt werden muss. Nach Lacan ist der große Andere in der Psychose von einem „imaginären Verfallen“ (Lacan 2016, S. 121) betroffen, der sich auch in den „Fransenphänomenen“ bei Schreber zeigt (Lacan 2016, S. 243 und S. 259). Fransen ist hier im doppelten Sinne zu verstehen, Schreber spricht zwar von diesen Fransen als Phänomen, dies ist aber für die formale Analyse nur insofern relevant, als es hier eigentlich um das ungebremste Ausfransen der Signifikantenketten geht. Die Verbindungen, die die Struktur der Sprache ausmachen, laufen hier also ohne Begrenzung durch zentrale Signifikanten weiter. Dies ist insofern möglich, als das Selbst‚bild‘ in der Spiegeloperation aus der Sprache selbst entsteht, d.h. aus Signifikanten, die jeweils nur auf andere Signifikanten verweisen und aus denen im Falle des Neurotikers im Überschuss das objet petit a ableitbar wird, dieses Bild wird hier direkt zu einer Zerlegung der Welt in Teile von Teilen, die nur sehr problematisch einen imaginären (oder genauer einen operzipierten) Zusammenhang bilden (Leader 2011, S. 130).

Der Mangel des großen Anderen, seine Unvollständigkeit, ist hier also nicht der Grund für die Bildung des Phantasmas (Lacan 2015, S. 355), sondern wird direkt im Spiegelbild selbst vorgefunden. Entsprechend findet sich das Subjekt getrennt von diesem großen Anderen (Lacan 2016, S. 297), der ein Paradox im Spiegelbild ist und sich aufgrund der Struktur der Signifikation selbst auflösen muss. Gleichzeitig wird aber genau diese radikale Andersheit des großen Anderen selbst zum direkten Objekt in dieser Spiegelbeziehung und löst darin den kleinen Anderen, das konkrete Gegenüber auf (Lacan 2016, S. 323) und greift damit massiv in die Struktur des Phantasmas ein. Der Psychotiker verhält sich also zum großen Anderen selbst als seinem Gegenüber, was in Schrebers Psychose von Lacan direkt markiert wird. Bestimmte andere Personen werden dabei immer auf die ‚hingemachten Männer‘ reduziert, auf etwas, das durch den Anderen qua Beziehung zum Subjekt geschaffen und erhalten wird. Da sich das Subjekt selbst in einer Differenz qua Spiegelstruktur zu diesem übermächtigen Anderen (letztlich der Sprache selbst, vgl. Lacan 2016, S. 155) befindet, ist es selbst ($) auch nur eine unvollkommene Nachahmung dessen, was es im Signifikanten vorfindet, also dessen, was sich ihm als Gegenüber zeigt (Lacan 2016, S. 297; Leader 2011, S. 177-178; vgl. auch Ross 1967). Genau diese unvollständige Position des Subjekts selbst, d.h. seine symbolische Barriere, die hier nicht einfach der allgemeine Mangel des Signifikanten ist, sondern der Mangel eines ganz zentralen und spezifischen Signifikanten, ist nach Leader ein zentraler Grund für den Ausbruch der Psychose (Leader 2011, S. 178). Das bedeutet, dass der grundlegende Mangel des Subjekts hier nicht, wie im Fall des Neurotikers, durch eine allgemeine Struktur qua großes Anderes (A) bearbeitet werden kann, sondern dem Subjekt selbst überlassen bleibt. Schreber, der in die Rolle des Gerichtspräsidenten kommt und dem der Name-des-Vaters in seiner Symbolisierung, d.h. die symbolische Struktur des Herren, fehlt, ist hier das von Lacan gewählte Beispiel. Es scheint also, dass der Mangel oder Überschuss selbst (a) hier die Rolle des Spiegels übernimmt und ein unstrukturierter Rest von (A) zum Gegenstand der Spiegelrelation wird. Aber hier ist Vorsicht geboten, Ähnlichkeit macht noch keine Identität!

Das Ausbleiben des Garanten der Sprache oder des Gesetzes, also des Namens-des-Vaters, den Lacan in Seminar III als das im Grunde Elidierte oder Verworfene diskutiert, tritt hier offen zutage. Man könnte im Rückgriff auf Seminar XVII davon sprechen, dass in der internen Relation von (A), die mit (S1-S2) markiert werden kann, der Herrensignifikant (S1) verworfen wird und die Vielheit von (S2) des Anderen übrigbleibt. Allerdings sind sich (S1) und (a) grundsätzlich ähnlich, denn sowohl (a) als auch der Herrensignifikant (S1) sind Markierungen der Leere. Allerdings ist diese Markierung jeweils eine andere, im Herrensignifikanten wird ein metaphorischer Begriff (z.B. Freiheit) über die Unbegrifflichkeit bzw. über den Ab-Grund der Begründbarkeit gelegt. Das objet petit hingegen verwandelt diese Leere, die dem Symbolischen zugrunde liegt, in ein Objekt, das immer wieder entschwindet. Es ist also kein Zufall, dass sie in den Diskursen, die im Seminar XVII vorgestellt werden, nie in einem Verhältnis zueinander stehen, sondern immer nur in einem umgekehrten. Dies muss zunächst erklärt werden, denn die „grundlegenden Signifikanten“ sind offensichtlich vom objet petit a unterschieden.

Das objet petit a erscheint beim Neurotiker als Überschuß des Phantasmas. Beim Perversen ist es das Objekt des Begehrens, das dieser in sich einschließt und aus dem er die von ihm verschiedenen Bilder hervorbringt. In beiden Fällen ist der Abgrund, das Unbestimmte etwas Lokales, und wird verdrängt, nicht verworfen. Es entsteht beim Neurotiker aus der Vereinzelung des Subjekts und wird – vergleichbar Kants unendlichem Urteil – durch die Konkretheit der (Selbst-)Bestimmung immer wieder neu erzeugt. Heidegger hat dies in „Was ist Metaphysik?“ an den All-Urteilen deutlich gemacht (Heidegger 1976, S. 103-105). Auf einer formal-logischen Ebene gilt dies gleichermaßen für jede Identifikation, jedes Eine produziert aus dieser Markierung als Eines einen Überschuss, der es selbst als gesetzt und nicht-ursprünglich markiert, das ist das Eine qua Schnitt. Lacan hat diese Struktur des ständig wachsenden Überschusses im Seminar XVII (dargestellt in einer Fibonacci-Folge (Lacan 2006, S. 157)

Der Überschuss, der hier produziert wird, d.h. jenes Objekt des Begehrens, dem wir nachjagen, wird immer schon durch den Versuch produziert, es einzuholen, weil das imaginäre Versprechen des Objekts von der symbolischen Struktur, die die Einheit konstituiert, nicht eingeholt werden kann. Das Symbol steht im Nichts und verweist auf das Nichts.

Was aber ist umgekehrt die Funktion der Leere, auf die „grundlegenden Signifikanten“ zu verweisen? Um dies zu klären, ist es hilfreich, Lacans Verweis auf Freud zu beachten. Der Herren- oder Namens-des-Vaters-Signifikant markiert grundlegende Fragen wie „Was ist ein Vater?“. Der Name-des-Vaters ist also eine grundlegende Struktur, d.h. eine grundsätzliche Unterscheidung, die aber eine Differenz und Ordnung darstellt. Bei Lacan selbst finden wir die Grenzziehung durch den Vater als Signifikanten beispielsweise in der Differenz von Bedürfnis und Begehren, die Lacan in der Formel des Begehrens ($ ◇ a) formuliert: ($) als Schnitt (cut) von (a) (Lacan 2002a, Seminar vom 16.05.1962). Der Name-des-Vaters ist dieser Schnitt zwischen Bedürfnis und Begehren, in dem sich das Subjekt auf das Begehren als jenseits seiner durch den Signifikanten (des Vaters) begrenzten Struktur bezieht und sich so als Einheit mit der Möglichkeit des Eines-Mehr konstituiert (Lacan 2002a, Seminar vom 28.03.1962). Das Subjekt-gebart-durch-den-Signifikanten ist also fundamental auf diese fundamentalen Signifikanten bezogen. Die Antwort auf die Frage ‚Was ist ein Vater?‘ ist also keine bedeutungshafte, sondern eine formal-logische: eine ursprüngliche Differenz zwischen Bestimmtem und Unbestimmtem.

In der Philosophiegeschichte hat Hans Blumenberg auf solche Grundstrukturen der Sprache aufmerksam gemacht, die er „absolute Metaphern“ (Blumenberg 2013) nennt. Diese absoluten Metaphern sind die grundlegende Organisation der symbolischen, d.h. sprachlich-formalen Wirklichkeit und organisieren sowohl formale (logisch-mathematische) als auch sinnhafte Diskurse. Auch Badious Begriff der Entscheidung (Badiou 2005, S. 37) über den Status des Einen ist das Explizitmachen eines solchen grundlegenden Signifikanten, das letztlich nichts anderes ist als das Ziehen einer bestimmten Grenze, die damit das Wirkliche vom Unwirklichen unterscheidet. Dementsprechend muss eine Ontologie für Badiou axiomatisch sein. Das Fehlen einer solchen Axiomatik würde die Entscheidung eines solchen Signifikanten nur verdrängen.

(S1) und (a) markieren also im Grunde eine ähnliche Problematik, nur aus einer anderen Perspektive. Dies erlaubt uns nun auch, den zunächst merkwürdigen Zusammenhang zwischen (A) und der Angst als Funktion des Schnittes zu erhellen. Während (a) den immer wiederkehrenden Überschuss jeder Markierung als wesentliches Element der symbolischen Einheit markiert, die durch die Markierung entsteht, ist (S1) die Form des Schnitts, insofern der Schnitt die formalen Bedingungen schafft (Lacan 2002a, Seminar vom 23.05.1962), unter denen (a) als konkret Unbestimmtes erscheint. Beide Verweise auf das symbolisch Unbestimmte sind gleichermaßen nicht ursprünglich, sondern verweisen auf einen grundsätzlichen (nicht gegebenen) Abgrund des Realen (Lacan 2002a, Seminar vom 14.03.1962). Dass das Reale als Register nur auf diese Weise, als symbolisch markiertes Unbestimmtes, in das Phantasma eingreift, wird auch besonders deutlich, wenn man die Aussage aus Seminar XVII betrachtet: „Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass, wenn es eine Chance gibt, etwas zu erfassen, das sich das Reale nennt, dies nirgendwo anders möglich ist als an der Tafel. [Übers. d. Verf.]“ (Lacan 2006, S. 151).

Dieser formale Strukturzusammenhang, denn es ist (S1), der die Spiegelstruktur von (A) ermöglicht, insofern die Differenz von realem Original und virtuellem Spiegelbild ermöglicht wird, lässt hier (a) an die Stelle von (A) treten und erlaubt es, die Spiegeloperation von einer anderen, aber strukturell ähnlichen Operation her zu denken. Indem die Operation der Identität des Subjekts nun von (a) her gedacht wird, wird sie individualisiert, da (A) nicht mehr die Funktion eines „Codes, gebildet aus Botschaften über den Code“ (Lacan 2015, S. 20), also einer allgemeinen Form, die eine Übertragung ermöglichen könnte, erfüllen kann. Auch Leader verweist auf diese individualisierte, auf einen einzigen Erkenntnismoment reduzierte und retroaktiv wirksame (Re-)Strukturierung der Welt, die er als Charakteristikum des Psychotikers markiert (Leader 2011, S. 125). Die psychotische Identität stellt das ebenso reduzierte Subjekt also vor eine durch das Kreisen um (a) partikularisierte, ausfransende Bedeutungsvielfalt (S2). Diese Ausfransungen des ins Imaginäre Verlegten (S2) verlangen dabei ein beständiges Fortschreiten in „neue Bedeutungseffekte“ (Lacan 2015, S. 58). Dies, weil der Mangel selbst verworfen wird, also nicht in einem virtuellen (a) auftritt, wie im Fall des Neurotikers. Dieser reduzierte Andere im imaginären oder operzipierten Register kann so keine Stabilität evozieren, es bleibt in den Signifikantenketten gefangen und kann sich nur mit den Illusionen der Gestalt des Imaginären, mit einer Erwartung der Einheit in der unendlichen Annäherung kontinuierlich versammeln. Auf diese Weise entstehen Systeme (Leader 2011, S. 204-216), die jedoch ständig von ihrem Zusammenbruch bedroht sind.

In den Formeln des Phantasmas war der große Andere die dominante Struktur, die die Konstitution des Subjekts als Eins überhaupt erst ermöglichte; mit dem Fehlen dieser Struktur fehlt auch das Subjekt, was sich auch in den beiden Schemata zeigt, die uns Lacan in dem Text „Über eine Frage, die jeder möglichen Behandlung der Psychose vorausgeht“ vorschlägt. Während im Schema R (Lacan 2015, S. 35) das Subjekt (S) und der Andere (A) zu finden sind, ist in der Formulierung des Psychotikers im Schema I, das die Struktur von Schrebers Psychose darstellt, nicht nur der Andere, sondern auch das Subjekt selbst elidiert (Lacan 2015, S. 57). In der Psychose entsteht also keine Identität qua Spiegeloperator, sondern ein Zustand, in dem sich die Identität von Subjekt und Anderen in einer Asymptote dem Unendlichen annähert (Lacan 2015, S. 58). Dem Kalkül des Psychotikers, wie Lacan ihn entwirft, fehlt also gerade die Einheit qua Schnitt; der Psychotiker ist daher wie es Lacan auch artikuliert nie Subjekt. Der Psychotiker löst dieses Problem, indem er Bedeutungseffekte produziert, die sich dem Problem des Einen unendlich annähern. Eine Möglichkeit, die Spiegelstruktur des psychotischen Subjekts zu formulieren, auch wenn dies spekulativ bleibt, d.h. im Rahmen einer formalen Ableitung, wäre folgende Formel:

𝑎
$  | 𝑆2

Dies würde bedeuten, dass eine Triangulation des Subjekts jeweils nur von einer spezifischen Spiegelung (a) statt von dem kulturellen großen Anderen (A) her denkbar ist, was in vielerlei Hinsicht durchaus den klinischen Beschreibungen entspricht, die auch Leader gibt. Allerdings wird hier nicht, wie im Falle des Perversen, ein Abgrund in einem Abgrund gespiegelt, sondern der systematisch strukturelle Charakter von ($) tritt in den Vordergrund und spiegelt sich im System (S2), das ohne inhärente Ordnung (d.h. Limitation), nur geordnet durch die imaginäre und damit illusionäre Einheit der virtuellen Seite des Spiegels erfasst wird. Da aber hier die Spiegelung immer nur fokal ist, sich also in einer konkreten Abwesenheit manifestiert, die keine Ordnung durch den verworfenen großen Anderen zulässt, kann dieses Spiegelbild keinen Halt finden, es schließt die Begrenzung durch das Nichts aus.

 

6. Schluss und Ausblick

Die phantasmatische Beziehung zum objet petit a ist ein wesentliches Element der Subjektstruktur. Was sich an der reduzierten Spiegelformel des Seminars X zeigt, ist die Transformation des Subjektbegriffs, der hier auch solche Subjekte einschließt, die streng genommen keine Setzungsleistungen vollbringen können (Perverse und Psychotiker). Wo der Perverse keine Setzung leisten kann, weil seine Subjektstruktur vollständig durch die Allgemeinheit der Sprache bestimmt ist, ist der Psychotiker durch die Partikularität seiner individuellen Setzungsfähigkeit bestimmt, die ohne Rückgriff auf eine kulturelle Setzung in einem Schwebezustand verbleibt. Dennoch erlauben uns diese beiden Subjektstrukturen einen wesentlichen Einblick in die Ontologie der Sprache. Der Perverse markiert einen sprachlichen Normalzustand, in dem das Subjekt sich ‚vor‘ der Sprache des Anderen als Spiegelung seiner selbst befindet. Der Psychotiker hingegen befindet sich wesentlich ‚in‘ der Sprache eines sich auflösenden Anderen. Nun ist es eine der wesentlichen Einsichten – nicht nur Lacans, sondern der Philosophie des letzten Jahrhunderts –, dass mit dem „Tod Gottes“ diese Auflösung an sich zunächst kein Zeichen des Wahns, sondern vielmehr das Zeichen eines emphatischen Realitätsbezugs ist. Allerdings nur, wenn diese Abwesenheit als solche erkannt wird. Wird diese Abwesenheit etwa im Rahmen einer universalen Annahme von Bestimmtheit und Bestimmbarkeit abgelehnt, befinden wir uns in dem Modus des Seins, den Heidegger als Berechenbarkeit denkt. Die Struktur, die Lacan im Psychotiker markiert, ist also mehr als eine klinische Kategorie: Sie lässt sich individualisiert im Psychotiker finden, was allgemein zu einem Modus des Denkens geworden ist. Wenn zum Beispiel Quentin Meillassoux in „Nach der Endlichkeit“ fordert, dass wir die „absolute Notwendigkeit der Nicht-Notwendigkeit der Dinge“ (Meillassoux 2014, S. 89) als Grundlage jenes wissenschaftlichen Denkens setzen müssen, das uns erlaubt, die phänomenologischen Schranken der Transzendentalphilosophie zu überwinden, dann ist diese moderne Absetzung des Herrensignifikanten keineswegs eine pathologische Struktur, denn hier findet keine Verwerfung statt. Wenn wir aber von der wissenschaftlichen Methodik verlangen, sich auf das Berechenbare und Bestimmbare zu beschränken, dann ist dies die Position des Psychotikers.

Auch das psychotische Phantasma dieses Kreisen des Subjekts um das objet petit a lässt sich besser fassen, denn es erlaubt uns, im Äußersten zu markieren, was Lacan schon früh mit dem Gleiten des Signifikanten markiert hat, nämlich die wesentlich transfinite Struktur der Bestimmung als eines, das jeweils einen Überschuss produziert. Was hingegen im psychotischen Subjekt verworfen wird, ist genau diese Dimension des Negativen, die nicht Negation von Etwas ist, die Leere als logisch-formale Struktur des Denkens und als unbewusst-generische Struktur des Handelns. Dieser Überschuss, der im Unbewussten seine empirische Realität zeigt, ist dann das Reale als das, was nur an der Tafel, d.h. durch die mathematisch-logische Repräsentation sichtbar wird (Lacan 2006, S. 151). Die psychotische Struktur erlaubt es uns also, den Kreis um das objet petit a, den der Neurotiker bereits gezogen hat, genauer zu bestimmen. Lacan betont im Seminar III, dass wir alle, d.h. eben auch neurotische Subjekte, psychotische Kernelemente in unserer Subjektstruktur vorfinden. Ein Beispiel dafür ist Lacans Vorstellung vom „autonomen Individuum“ als einem „fremden Diskurs im Innersten eines jeden“ (Lacan 2016, S. 161).

Die Fremdheit dieses Diskurses lässt sich nun genauer fassen, wenn man auf die Formel vom Phantasma des Psychotikers zurückgreift: Die hier vorgeschlagene Formel markiert dann – innerhalb einer neurotischen Subjektstruktur – das Produkt der bereits erwähnten Operzeption in Bezug auf den fundamentalen Mangel des Anderen. Da diese Operzeption letztlich eine permanente Produktion von Bedeutungseffekten impliziert (da es ein Unbewusstes durch die Konstitution des Einen gibt), finden wir hier also eine Struktur, die an die oben bereits zitierten absoluten Metaphern Blumenbergs anschließt. Mit dem wesentlichen Aspekt, dass die Produktivität dieser Metaphern als „katalysatorische Sphäre“ (Blumenberg 2013, S. 15) formalisierbar wird. Zentral für die hier vorgestellte Analyse ist dabei, dass diese Produktivität des so markierten Unbewussten nur einer platonischen Perspektive zugänglich ist, die den Überschuss des verborgenen Ab-Grundes ernst nimmt. Letztlich sind die hier vorgestellten Probleme viel praktischer, als es zunächst den Anschein hat: Wir haben im Digitalen eine formale Denkstruktur, die weder einen Namen-des-Vaters noch einen innerhalb dieses Denkens symbolisierbaren Zugang zum objet petit a hat. Dies hat konkrete Auswirkungen in der Struktur moderner KI, die an anderer Stelle markiert wurden, die aber nicht unerhebliche Auswirkungen auf moderne generative Modelle haben. ChatGPT beispielsweise steht der psychotischen Subjektstruktur, die auch als rein formale Organisation von Diskursen betrachtet werden kann, grundsätzlich näher als der perversen oder neurotischen Subjektstruktur (vgl. Pre-Print Heimann und Hübener 2023).

 


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Autor:in: Marc Heimann ist Philosoph, spezialisiert auf philosophische Logik, beeinflusst von Heidegger und Lacan. Er promovierte 2020 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster mit einer Arbeit über Heideggers Logik. Derzeit ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule Niederrhein, wo er sich auf die philosophischen Aspekte künstlicher Intelligenz konzentriert. Seine Forschung umfasst Projekte zu AI in den angewandten Sozialwissenschaften und die philosophische Untersuchung der digitalen Gesellschaft.

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