Plädoyer zur methodologischen Enthaltung

Stefan Ohlrich

Y – Z Atop Denk 2023, 3(11), 1.

Originalarbeit

Abstract: Die Arbeit versteht sich als Beitrag im allgemeinen Spannungsfeld von psychoanalytischer Theoriebildung und Methode. Am besonderen Beispiel des Konzepts der Rêverie im Verständnis Antonino Ferros wird gezeigt, wie der Einsatz der bestehenden Theorie im analytischen Prozess die Freud’sche Methode kompromittiert: An die Stelle von Exploration und Analyse der Abkömmlinge des Unbewussten rückt die Gewissheit über die vermeintliche Wahrheit, die sich Analytiker:innen in ihren eigenen Assoziationen offenbart. Der Essay verfolgt das Problem noch tiefer: In einem weiteren Schritt legt der Autor offen, dass durch diese Präferenz der Theorie vor der psychoanalytischen Methode einem Genießen der Analytiker:innen an ihrem eigenen Unbewussten, damit einer Jouissance Vorschub geleistet wird. Die Arbeit bemüht sich, nicht einfach eine beliebige Theorie zu kritisieren, sondern schließt in Anlehnung an Jean Laplanche und Christopher Bollas mit einer Rückbesinnung auf die Freud’sche Psychoanalyse als singulärer Methode.

Keywords: Reverie, Phantasie, Jouissance, Signifikanten, gleichschwebende Aufmerksamkeit

Veröffentlicht: 30.11.2023

Artikel als Download: Theo(rêve)rie als Via Regia zur Jouissance

 

1. Die Rêverie als traumhafter Verdauungsvorgang

„Das ‚Bilden von Bildern’ (der Einfachheit halber verweile ich im visuellen Register) ist die Frucht eines Verdauungsvorgangs, in dem Sinnliches, Proto-Emotionen und unbestimmte Stimuli in ein emotives Piktogramm transsubstansiviert werden: Was unangenehm an die Oberfläche drängte, wird ein visuelles Bild des Geistes, welches Spannungen löst. Dies konstituiert den Prozess, der, wie mittlerweile jeder weiß, in der Psychoanalyse Rêverie genannt wird“ (Ferro 2015, Introduction)1.

Ein Zitat wie eine Epiphanie: Faszinierend, höchst verführerisch und anregend, aber auch vage, unbestimmt und damit problematisch. Wer verdaut was (oder eher wessen)? Und woher stammen diese Proto-Emotionen, diese ominösen diskursiven Ballaststoffe des Analysanden, deren Verdauung zur Ent-Lastung beiträgt? Ohne die Bildung dieses Bildes weiter zu forcieren, lässt sich doch die Frage stellen, welche Zusammensetzungen sich in den gesammelten Proben Ferros finden lassen und vor allem auch, wer Subjekt dieser digestiven Lust ist, deren Resultat (nach Ferro) einen so hohen Brennwert hat, dass davon auch die Lesenden seines Buches Rêveries: An Unfettered Mind (2015) noch satt werden können. Oder ist es eher als Aperitif gedacht, welcher die Säfte zum Fließen bringen soll?

Ich nähere mich diesem Phänomen zunächst mit struktural-psychoanalytischen Begriffen in dem Versuch, diese mythischen Traumgedanken in Konzepten zu fassen. Lässt sich die Rêverie als Traum in Freud’scher Fassung lesen oder eher als Phantasie im Lacan’schen Sinne? Im ersten Falle wäre sie eine verstellte Wunscherfüllung. Ähnlich verhält es sich im zweiten Fall: In seiner Formel des Phantasmas (vgl. etwa Seminar 6) bringt Lacan zum Ausdruck, dass die Ursache des Begehrens (Objekt klein a) die Logik des Phantasmas strukturiert und Ursprung aller aufliegenden Phantasien ist. Žižek weist in The Plague of Fantasies (2008) an vielen Beispielen nach, dass Phantasien genau jene Lücken füllen, die die Realität, durchsetzt vom Realen im Lacan’schen Sinne, aufweist. Jene Phantasien der Analytikerin2 könnten analog als Füllmaterial gesehen werden, welches die Lücken des Diskurses stopft; die Rêverie als Wunsch-er-Füllung?

Die Rêverie, und ich betone den Punkt Ferros wonach sie mit einer Spannungsreduktion einhergeht, erinnert damit an eine (entstellte, träumerische) Wunscherfüllung, wobei ich „Erfüllung“ in der Nähe der Jouissance verorte, also einem Genießen, welches nicht per se angenehm oder wohlig ist, sondern durchaus der Freud’schen „Schmerzlust“ entsprechen kann (vgl. Fink 2017, S. 73)3. Einen Aspekt haben Phantasien und Rêverien gemein: Beiden wohnt eine Verbindung von Wunsch und Genuss inne. Deutlich abzugrenzen sind beide allerdings nach dieser Bestimmung von inneren Bildern, die sich unfreiwillig einstellen, also eine exakte visuelle Entsprechung verbalisierten Materials sind (man denke jetzt nicht an einen rosa Elefanten).

Ist eine Rêverie nun ein imaginäres Genießen, welches – und das ist für den Begründer der Theorie der Rêverie höchste Bedeutung (vgl. Bion 1962, S. 309 zur mütterlichen Rêverie) – seinen Ursprung im Anderen hat? Damit scheint sich vor uns ein Widerspruch zu öffnen: Kann man ein fremdes Begehren genießen? Anders gefragt: Sollten sich Analytiker:innen auf ihre eigenen Phantasien verlassen?4 Im größeren Kontext stellt sich die Frage des Verhältnisses von psychoanalytischer Theoriebildung und Methode: Könnte es sein, dass die eine der anderen im Wege steht, sie gleichsam zum Schweigen bringt?

 

2. Zur Struktur der Signifikanten oder: Was ist die Rêverie im analytischen Setting?

„[...] so soll sich der Arzt in den Stand setzen, alles ihm Mitgeteilte für die Zwecke der Deutung, der Erkennung des verborgenen Unbewußten zu verwerten, ohne die vom Kranken aufgegebene Auswahl durch eine eigene Zensur zu ersetzen, in eine Formel gefaßt: er soll dem gebenden Unbewußten des Kranken sein eigenes Unbewußtes als empfangendes Organ zuwenden“ (Freud, 1912e, 381).

Gehen wir zunächst einen Schritt zurück und übersetzen das Zitat von Ferro in Begriffe der strukturalen Psychoanalyse: So ließe sich sagen, dass die Analytikerin aus den verschiedenen Signifikanten des Diskurses des Analysanden ein ‚inneres Bild‘, das Piktogramm, hervorbringt. Diese Signifikanten, so zeigt sich im Zitat Ferros, entziehen sich der (vor)bewussten Wahrnehmung und sind derart sublim (Proto-Emotionen, unbestimmte Stimuli), dass sich dieses innere Bild wohl auch aus Anteilen des Unbewussten der Analytikerin generiert. Hat denn nicht auch Freud in den technischen Schriften geschrieben, dass der Analytiker sein eigenes Unbewusstes als empfangendes Organ zur Verfügung stellt? Die Frage, wer was in der analytischen Sitzung tut, ist der Kern der Sache. Zunächst jedoch möchte ich noch kurz über die Struktur der Signifikanten nachdenken, um den Gegenstand der Rêverie genauer zu fassen.

Es kann wohl als Konsens gelten, dass der Text, der in der Analyse vom Analysanden produziert wird, entstellt ist bzw. von unbewussten Abkömmlingen durchsetzt. Man denke da an Verschiebungen, Ersetzungen und Rücksicht auf Darstellbarkeit im Allgemeinen und die Abwehrmechanismen im Speziellen, die vielleicht als Spezialfälle dieser allgemeinen Prinzipien verstanden werden können. Folglich gilt, was Fink (2019, S. 5) kurz und bündig formuliert: „Bedeutungen sind niemals offenkundig“ und “Bedeutungen sind immer mehrdeutig”. Wie steht es da um den Status in der Rêverie? Von potenzieller Mehrdeutigkeit ist bei Ferro keine Rede; tatsächlich heißt Rêverie für ihn assoziativ geleitete Transformation, wodurch er sich von der konkreten Wortbedeutung löst. Er beruft sich explizit auf Bions Raster, welches ein Schema möglicher Transformationen ist. Lassen wir ihn in einem Beispiel zu Wort kommen: Er erfährt von einem Kollegen in der Supervision von einem Fall eines unerträglich kribbelnden Fußes: „Inzwischen denke ich: eingeschlafener Fuß; gehen; nicht rennen können; ausschlagen; Film ‚Der Mann, den sie Pferd nannten‘; indianischer Kriegstanz)“ (Ferro 2014, S. 826). Feststeht, dass diese Bilder eine sehr konkrete Form annehmen, statt jenen Aspekt zu fokussieren, welcher diese bestimmten Bilder evoziert und motiviert. Ferro fragt nicht danach, sondern folgt seinem eigenen Denken.5 Persönlich würde ich die Frage stellen, ob diese konkrete Ausformung des Materials noch mit gleichschwebender Aufmerksamkeit vereinbar ist oder ob wir es da nicht schon mit einer (subjektiv-unbewusst motivierten) Engführung des Materials zu tun haben. Ich werde darauf zurückkommen.

Denken wir weiter über die Signifikanten nach: Ihre jeweilige Bedeutung ist alles andere als eindeutig. Das somatische Symptom in Ferros Fall mag viele Bedeutungen haben; möglicherweise trifft seine Assoziation zu. Wie aber verhält es sich nun mit der Verbindung der Signifikanten untereinander? In der Tat verortet Fink (1995, S. 77 ff.) genau in dieser Verbindung, in diesem Zwischenraum, das Unbewusste des Subjekts (vgl. auch Bollas (2006, S. 937) der in jenen Lücken der Assoziationen die unbewusste Konjunktion verortet). Analog zur Bedeutungskonstitution der Signifikanten trifft Ferro keine Aussage darüber, nach welchen Prinzipien er Proto-Emotionen, unbestimmte Stimuli und ähnliches kombiniert. Auch hier verlässt sich die rêverierende Analytikerin wohl auf ihr Unbewusstes. Statt mit einem undurchsichtigen Unbewussten haben wir es dann mit zweien zu tun. Um es vorwegzunehmen: An dieser Stelle sehe ich die Problematik der Jouissance, als einem Genießen, welches unbewusst bleibt (vgl. Fink 2017, S. 73). Mein Ansatz der Kritik an dieser Stelle ist aber zunächst noch basal: Die gegebene Unwissenheit über die Struktur der Signifikanten des Analysanden sollte es eigentlich erfordern, mögliche ungeklärte Verbindungen zu explorieren, statt diese in einem wie auch immer gearteten Verdauungsvorgang verschwinden zu lassen. Tatsächlich ist mir in den zahlreichen Beispielen von Ferros Arbeit kein Beispiel bekannt, wo er aufzeigt, was nun die Proto-Emotion war und wie er sie verdaut hat.6

Bleiben wir noch einen weiteren Moment auf einer grundlegenden Ebene und begegnen meiner Kritik durchaus kritisch: Es können zwar notwendigerweise nur Teile der gesamten signifikanten Kette im Diskurs realisiert werden; ein Großteil der unbewussten Bedeutungen bleibt unbewusst, sodass viele Verbindungen notwendig unerkannt bleiben müssen. Wenn jedoch der Andere der Ort ist, an dem Bedeutung entsteht (vgl. Lacan 2001, S. 250 ff.) wäre damit nicht auch die Rêverie gerechtfertigt, insofern die Analytikerin eine Repräsentation dieses Ortes wäre? An dieser Stelle, so meine ich, zeigt sich das Potenzial und die Problematik der Rêverie: Die Analytikerin kann nicht wissen, wer dieser Andere (oder mit Laplanche gesagt: die Alterität) des Analysanden ist. Die Annahme, man selbst sei der Schlüssel zum Verständnis der Wahrheit und per analytischem Träumen mit einer unbewussten Auffassungsgabe versehen, die aus fragmentiert-entstelltem diskursiven Material qua träumerischer Interpretation en passant Gewissheiten synthetisiert, scheint implizit der Idee der Rêverie und speziell der projektiven Identifizierung zugrunde zu liegen und Ausgangspunkt möglicher Interventionen zu sein.

Selbst jene von Ferro erwähnten ‚Proto-Emotionen‘ und ‚unbestimmte Stimuli‘ finden ihre Bedeutungen erst in der Analyse der signifikanten Struktur, deren Ursprung wesentlich das Unbewusste des Analysanden ist. Das trifft übrigens auch für die Bion’schen Beta-Elemente zu, die sich als wirkungsvolle Signifikanten verstehen ließen, die sich der Einpassung in die Struktur widersetzen. Es führt kein Weg um die Analyse eben dieser Struktur und ihrer Teile herum, wolle man die Arbeit nicht zur Genesungsbegleitung, Erziehung oder Freundschaft degradieren. Im Laplanche'n Vokabular haben wir es mit einer Unterscheidung von ‚gefüllter und hohlförmiger Übertragung’ zu tun (vgl. Laplanche 1998b, S. 107): Insofern die Analytikerin die Lücken des Diskurses mit eigenen Rêverien stopft, lässt sie diese Lücken nicht hervortreten, sondern füllt sie aus, agiert lediglich als eine andere Person, ein anderes Unbewusstes. So kann die grundsätzliche „Anwesenheit der Alterität im Anderen“ (ebd.) keinen Raum einnehmen. Im Beispiel ist dies Ferros Bild des tanzenden Indianers.

Es darf natürlich nicht unterschlagen werden, dass Ferro grundsätzlich die ungesättigte Deutung bevorzugt, die konkretistische Wissensvermittlung ablehnt. Dennoch ist der Weg auch zu dieser eher offenen Deutung geebnet von einer synthetisch-interpretierenden Denkleistung Ferros. Darüber hinaus behauptet Ferro (2014, S. 822) nicht am verdrängten Unbewussten interessiert zu sein, sondern an der Struktur des Denkapparates als solchem. In seinem Beispiel macht er uns allerdings eher zum Zeugen seines eigenen Denkapparates.7

 

3. Noch einen Schritt zurück: Freuds Methode und die Rêverie

„Die Weigerung zur Synthese ist, noch bevor sie eine gleichsam moralische Regel bei Freud darstellt […], eine methodologische Enthaltung. Deren oberste Maxime lautet, dass man dort, wo man dem Weg der Synthese folgt, das Unbewusste zum Schweigen bringt“ (Laplanche 1998a, S. 612).

Innere Bilder aufseiten der Analytikerin sind selbstverständlich unvermeidlich. Sind nicht auch Träume visuelle Darstellungen von (sprachlich strukturierten) Gedanken, jene Traumgedanken der Traumdeutung? Die Faszination des Traums ist allerdings eben seine Deutungsoffenheit, Verschleierung von Wünschen, dass er sich genau jenen konkretistischen Auslegungen entzieht und der Deutung bedarf, welche die Freud’sche Methode ist. Das Beispiel einer orakelhaften Deutung bei Fink (2019, S. 70 f.) spielt genau mit jener bildhaften Mehrdeutigkeit, die nicht nur einzelne Signifikanten, sondern vor allem auch deren Verbindungen betrifft: Diese Intervention, Frucht analytischen Hörens, ist der Versuch zu deuten, was ihr eigener Ursprung ist, also was sie selbst als mögliche signifikante Struktur hervorgebracht hat. Diese Deutung dissoziiert und ent-bindet, während die Rêverie assoziiert und ver-bindet. Der Unterschied zwischen Freuds ‚empfangendem Unbewussten‘ und der Rêverie liegt eigentlich die ganze Zeit offen vor uns: Freuds Methode sucht die Entschleierung, während die Rêverie (als träumerischer Akt) eine neue Verschleierung und damit eine „Verdoppelung der Verdrängung“ (Laplanche 1998a, S. 615 f.) einführt.

Um den Unterschied beider Haltungen genauer zu bestimmen, ziehe ich ein kurzes Beispiel zur Illustration heran: In einer Fallbesprechung an einem Psychoanalytischen Institut trägt eine Analytikerin den Fall einer Analysandin vor, die unter schweren Depressionen leidet. Zu einem Zeitpunkt nach etwa 30 Stunden hat die Analytikerin ein inneres Bild von einem kleinen Boot, welches allein auf einem schwarzen Ozean treibt und voller Verzweiflung erfolglos versucht, Kontakt aufzunehmen. Dieses Bild ging für die Analytikerin mit einem intensiven Affekt einher, wodurch man in diesem Fall von einer Rêverie sprechen könnte. Es ist das Bild der Analytikerin, welches jedoch nicht ex nihilo entstanden ist. Es steigt ohne bewusstes Zutun der Analytikerin aus dem Diskurs der Analysandin auf, ist aber nicht allein darauf zurückzuführen. Wie ist das einzuschätzen?

Der problematische Kern dieser Erfahrung liegt meines Erachtens darin, dass innerhalb der Analyse nicht genau geklärt wurde, wie dieses innere Bild zu deuten ist: Ist es Ausdruck der inneren Befindlichkeit der Analysandin, wie es der Argumentation Ferros wohl entsprechen würde, oder ist es das Gefühl der Analytikerin in der Gegenübertragung, die selbst keinen Kontakt zu ihrer Analysandin findet oder steckt vielleicht beides darin? Einigermaßen lapidar argumentiere ich dafür, dass es sich um ein inneres Bild, dem Freud’schen Prozess folgend handelt und nicht um eine Rêverie, selbst wenn dieses innere Bild quasi in träumerischer Haltung entstanden ist. Die Gründe sind folgende: Während Ferro das Material einerseits abstrahiert und dann andererseits eigenen, sehr konkreten Assoziationen folgt, ist das Bild des Bootes eine – der Traumarbeit entsprechende – Kondensation des Materials und der (Gegen)Übertragungsprozesse. Im Gegensatz zur Rêverie, die aus wenigen Informationen viele Assoziationen hervorbringt, hat die Analytikerin hier ihr eigenes Unbewusstes (genauer gesagt: ihr Vorbewusstes) als Prozess zur Verfügung gestellt, welcher die mannigfaltigen Abkömmlinge des Unbewussten der Analysandin aus zahlreichen Analysestunden auffängt und kondensiert, während Ferro meiner Ansicht nach eigene Inhalte hinzufügt, um diese dann Teil des Prozesses werden zu lassen. In den Worten Freuds wäre Ferro nicht nur empfangendes, sondern auch gebendes Unbewusstes, da er Assoziationen mit Assoziationen begegnet. Dies entspricht der Theorie des analytischen Feldes als einem Unbewussten, an dem beide Parteien partizipieren bzw. dessen Träger sie sind. Die konkreten Formungen spielen dabei keine tragende Rolle, die „narrativen Derivate“ (vgl. Ferro 2014, S. 821) sind lediglich Varianten dessen „was zählt“, „letztlich die ‚Wahrheit über die emotionalen Beziehungen’“ (ebd.). Diese letzte Wahrheit sei qua träumerischer Einfühlung in eigenen Assoziationen zugänglich. „Die Sitzung tendiert dazu, ein von beiden Psychen produzierter Traum zu werden“ (S. 822). Doch dabei bleiben die Fragen, die eingangs dieses Absatzes aufgeworfen wurden, ungeklärt. Wenn wir mehr auf das schauen, was Ferro tut (selbst in der Supervision, die dem Setting nach gar keine seiner Rêverien über den Patienten ermöglichen könnte) als auf das, was er sagt, finden wir, dass seine Assoziationen eigenen Bahnen folgen, letztlich auf das Denken organisierende Engführungen hinauslaufen, während obige Kondensation aus bereits bestehendem Material zusammengesetzt ist, aus einer offen-aufnehmenden Haltung heraus entstanden, ohne vorgängigen Wunsch zu verstehen. Jede spezifische Auslegung des Materials, erinnert uns Laplanche, stellt eine Verdrängung anderer Auslegungen dar. Ferros Vorgehen fällt meines Erachtens nach in die auslegende Tradition psychoanalytischen Verstehens. Der Idealfall des sich selbst organisierenden Materials ist sicherlich utopisch. So ist die Grenze, die ich hier so punktuell zu ziehen versuche, in der Praxis natürlich hochgradig fluktuierend. Doch wie immer geht es ums Prinzip.

 

4. Die Jouissance des Analytikers an der Rêverie

Würde mich kein Ohr vernehmen /
Müßt’ es doch im Herzen dröhnen /
In verwandelter Gestalt /
Ueb’ ich grimmige Gewalt. /
Auf den Pfaden, auf der Welle, /
Ewig ängstlicher Geselle; / Stets gefunden, nie gesucht, /
So geschmeichelt wie verflucht. („Die Sorge“ in Goethe 1832, S. 315)

Wir haben nun die Vorarbeiten geleistet, um das Kernproblem herauszuarbeiten: Der Verlass darauf, dass auch die Bildungen des eigenen Unbewussten zu einem großen Teil auf das Unbewusste des Analysanden zurückzuführen sind oder aus der Begegnung beider stammen, verführt zu einer Erkenntnishaltung, die einerseits den Analytiker selbst in den Fokus nimmt, aber die Fragen über die Bildungen des ‚gemeinsamen‘ Unbewussten dennoch hinten anstellt. So, wie ich Ferro verstehe, nimmt er die eigenen Assoziationen auf, reichert gleichsam das Material seiner Analysanden an, verformt es und bearbeitet dann zu einem großen Anteil das von ihm kommende Material, ohne diesen eigenen Anteil wiederum zu reflektieren. Er scheint sich von den Abkömmlingen des anderen Unbewussten zu entfernen bzw. nur als Trigger eigener Assoziationen zu nutzen. So dröhnt letztlich im Herzen, was das rêverierende Ohr nicht vernommen. Die Sorge dröhnt, so könnte man Goethes Zitat lesen, gerade weil sie nicht gehört wurde. Und weil das rêverierende Ohr taub war, findet es stets nur, was es nie gesucht: das eigene Unbewusste.

Mit Freud ließe sich diese Methode kritisieren: Kern der träumerischen Wünscherfüllung ist bekanntlich, dass der vorbewusste Wunsch allein noch keinen Traum auslöse (keine Rêverie, wenn man bereit ist, beides als quasi-identisch hinzunehmen), dazu bedürfe es einer weiteren treibenden Kraft, welche das Material mit Bedeutung auflade. Freud meint natürlich das Unbewusste (1986, S. 169 ff.). Und genau da stellt sich die Frage: Wessen Unbewusstes ist denn nun diese Kraft? Oder anders gefragt: Welche Kraft beeinflusst das gemeinsame Unbewusste? Ferros Vorgehen ist durch seine Theorie gerechtfertigt. Doch sind seine Assoziationen, insofern er sich vom gegebenen Material entfernt, Teil ‚seiner’ libidinösen Ökonomie, ‚seiner‘ Phantasie und damit öffnet dieses Vorgehen dem Begehren des Analytikers Tür und Tor, ohne das eigene Genießen an diesen Phantasien zu hinterfragen. Schauen wir genauer hin.

Insofern der Analytiker sich auf die eigenen Assoziationen verlässt, sie geradezu für gegeben hinnimmt, begibt er sich in das schwierige Feld des eigenen Genießens des analytischen Prozesses. Wie eingangs erwähnt, sind Phantasien Ausdruck des eigenen Begehrens bzw. Wünsche oder Wunschentstellungen im Freud’schen Sinne. Die Phantasien der Analysandin zu analysieren, ist die eigentliche Arbeit, welche zu un-entstellten Wünschen und Begehren führt. Per Übertragung wird der Analytiker Teil dieser Phantasien, doch ist stets zu prüfen, welche unbewussten Bedeutungen innere Bilder oder Phantasien in der Gegenübertragung mit sich bringen. Genau dies scheint mir bei manchen Theoretikern der Rêverie wie auch der projektiven Identifizierung zu fehlen.8 Bei Fink (2017, S. 171 ff.) findet sich eine ausführliche Kritik, weshalb ich mich hier beschränke. Wenn dieses Konzept mit der Rêverie verbunden wird, erhalten Analytiker quasi-magische Kräfte, unfehlbare Intuitionen und Träume, die zugleich Spannungsabfuhr liefern und letztlich vermeintliche Wahrheit aufschlüsseln.

Doch man beachte: „Die psychoanalytische Methode besitzt ursprünglich keine Schlüssel, sondern Schraubenzieher. Sie nimmt die Schlösser auseinander, sie öffnet sie nicht“ (Laplanche 1998a, S. 616). Es wird deutlich: Bei der Rêverie haben wir es mit einem Genießen im Sinne der Jouissance zu tun. In dem Moment, wo man sicher ist, die eigene Assoziation komme vom Anderen (oder aus dem Feld) und die Rêverie (als Resultat des Folgens eigener Assoziationen) wäre deshalb Schlüssel tieferer Einsicht, entzieht man sich der eigentlichen analytischen Arbeit und blendet die Gewalt des eigenen libidinös-synthetisierenden Denkapparates aus. Doch kehrt es in verwandelter Gestalt wieder, in Form des unbewussten Genießens. Die Analyse aber ist der Schnitt des Genießens.

Wie ist das zu verstehen? Gehen wir davon aus, dass Phantasien unbewusste Wunschkonstellationen inszenieren, die im Lacan’schen Denken auf einen fundamentalen Mangel und das Objekt klein a verweisen, so ließe sich jeweils sinnvoll fragen, an welchen Stellen der Analyse und in welchen Situationen sich welche konkreten Phantasien einstellen. Statt auf eine große Potenz weisen Phantasien dann auf einen (abgewehrten) Mangel im Analytiker hin. Auch hier kommt der Genuss an den eigenen Rêverien als Wunscherfüllung zum Vorschein. Um mich richtig zu verstehen: Phantasien und innere Bilder sind natürlich Teil der analytischen Praxis, denn auch Analytiker sind im Lacan’schen Sinne grundsätzlich mangelhaft, insofern sie nie die gesamte Einsicht in die signifikante Struktur von Analysand:innen haben. Genau genommen, und dies ließe sich als weiteres Argument anführen, besitzen Analytiker ebenso keinen vollumfänglichen Einblick in die eigene signifikante Struktur. Niemand ist sich selbst transparent. Der Grundgedanke ist also denkbar simpel: Aus diesem Grund, aus dieser fundamentalen Beschränktheit heraus ergibt sich die Notwendigkeit, auch die Produkte des eigenen Unbewussten sorgfältig zu analysieren. Folgt der Analytiker hingegen seinen Assoziationen, fokussiert er sie gar, gerät er in Gefahr, eher sich selbst in Beziehung zur Analysandin genießen – zwar in der Form eigener Phantasien, aber die Analyse, verstanden als assoziativ-dissoziativer Prozess (Laplanche) kann sich nicht einfach dem Genießen hingeben, sondern muss es zum Gegenstand der Analyse machen. Statt den Diskurs in der Schwebe zu halten, werden eigene innere Bilder als Tatsachen vorgeschoben.

Die gleichschwebende Aufmerksamkeit Freuds ist, so gelesen, die Kastration des Analytikers am eigenen Genießen. Die Argumentation des geteilten Unbewussten enthebt von der Arbeit der Analyse. Sicherlich findet immer Kommunikation von unbewusst zu unbewusst statt, doch gilt es genau die zu analysieren. Da enthüllt sich dann auch ein Weg der Exploration. Die Frage, wieso eben genau das angeregt wird, was da gerade zur Oberfläche drängt, kann aber nicht hinter der Bildung selbst verschwinden. Daher auch die so kritische Formulierung der ‚Abkömmlinge‘ des Unbewussten von denen der analytische Diskurs durchtränkt ist und die aufzufangen Aufgabe des Analytikers ist. Im oben eingeführten Bild weitergedacht: Die Augen müssen sich an die Dunkelheit gewöhnen, um auch die weniger hellen Sterne sehen zu können (man denke an Freuds berühmte Metapher des sich „künstlich Abdunkelns“). Ferro hingegen, so befürchte ich, wird zu sehr vom Strahlen jener Sterne geblendet, die er selbst ans Firmament setzt.

 

5. Überlegungen zur Methode

„Deshalb könnte nichts den Psychoanalytiker mehr in die Irre führen als zu suchen, sich durch einen angeblich empfundenen Kontakt mit der Realität des Subjekts leiten zu lassen“ (Lacan 2016, S. 297).

Die bisherigen Ausführungen können nun pointiert werden auf den Unterschied zwischen der Rêverie und dem empfangenden Organ Freuds. Daraus ergeben sich zugleich Implikationen für die Behandlungstechnik. Man könne mir sicherlich entgegenhalten, dass Ferros Assoziationen nicht das Ende des Prozesses sein, sondern in der Tat nur Zwischenstationen. Auch er behauptet, ein inneres Bild gefunden zu haben, welches „gerfriergetrocknet, kondensiert, konkretisiert“ (2014, S. 826) sei. Darin stimme mit ihm überein und er wird wohl dem vorbewusst-träumerischen Prozess gerecht, als welchen ich das Freud’sche empfangende Organ erachte. Doch bei genauerer Betrachtung finden wir, dass Ferro seine eigenen Assoziationen kondensiert. Es kann in diesem Beispiel auch gar nicht anders sein, schließlich hat er Zugang zum Material lediglich vermittelt über den Kollegen. Dennoch behauptet er, die ausgewählte Tatsache gefunden zu haben, die sowohl den vorgetragenen Fall löst als auch – und ich denke darin liegt das wesentliche Interesse an der Rêverie – sein „Denken organisiert und interpretiert“ (S. 827).

An dieser Stelle ließen sich viele weitere Kritikpunkte anschließen, die im Grunde auf divergierenden theoretischen Annahmen beruhen.9 Doch mir geht es hier allein um die Methode, Freuds große Leistung, die überhaupt erst die umfangreichen Wissensbestände und Theoriebildungen ermöglichte. Und genau um diesen Aspekt kreist mein Anliegen. Wie man auch immer es theoretisch rechtfertigen mag: Der Fokus auf die Rêverien, das Folgen der eigenen libidinösen Bande in Form eigener Assoziationen führt das Genießen des Analytikers in den Prozess ein und kompromittiert somit den analytischen Prozess. Der vermeintliche Zugang zur Tatsache der „Wahrheit der emotionalen Beziehungen“ (Ferro), die letztlich das Rückgrat dieser Theorie bildet, erscheint mir anmaßend und ungerechtfertigt, da diese Erkenntnis auf Basis eines unbewusst arbeitenden Unbewussten des Analytikers zurückzuführen ist.

Im Gegensatz dazu ist das Freud’sche empfangende Organ zwar auch träumerisch, vorbewusst und diese gleichschwebende Haltung mag auch mit verschiedenen Affekten einhergehen. Doch liegt der Fokus auf den Abkömmlingen des Unbewussten der Analysandin, also konkret geht es um ihre Assoziationen, ihre Träume, Fehlleistungen, Symptome, Verschiebungen, Verstellungen, Übertragungsangebote, Witze, Mythen über sich selbst (Laplanche) oder diskursive Evokationen und Ausstrahlungseffekte im Green’schen Sinne (vgl. seine Theorie der freien Assoziationen 2002). Es geht nicht um das Träumen um des Träumens willen, sondern um die Wahrheit des Subjekts, dessen Unbewusstes Ursprung dieser Abkömmlinge ist. Ich orientiere mich in dieser Beschreibung an Christopher Bollas (2002) und seinem Konzept des Freud’schen Paars, welches eine klare Aufgabenteilung vorsieht. Der Analytiker ist in Resonanz, indem er sein Vorbewusstes als Apparat zur Verfügung stellt, welcher Verstellungen auffängt, verbindet und nachträglich synthetisiert. Dazu ist es natürlich wichtig, nah am Text zu bleiben. Weder sollte er sich in Empathie erschöpfen, die das Andere ausblendet, noch sich selbst in den eigenen Assoziationen genießen, die ein „Geist, der nicht allzu sehr von falschen Vorstellungen oder falschen Zuordnungen im Zaum gehalten wird, so selbstlos hervorbringen kann“ (Ferro 2014, S. 824). In der vermeintlichen Selbstlosigkeit (als Ausblendung des eigenen Unbewussten) tritt die ganze Problematik der Theo(rêve)rie zutage. Der Traum (frz. le rêve) er-füllt die Theorie. Vielleicht über-füllt er sie sogar.

Das Prinzip, wonach Assoziationen mit Assoziationen begegnet wird, erinnert an die Talmudische Praxis, wie sie Weimer (2017) für gruppenanalytische Prozesse herausgearbeitet hat. Doch ist das klassische analytische Setting ein anderes.10 In einem Vortrag am Abraham-Institut verglich Götzmann (2022) die Psychoanalyse mit einem Spiel, bei dem durchaus auch Assoziationen ausgetauscht werden. Ich vermute, dieser Status des Spiels ergibt sich in fortgeschrittenen Phasen der Analyse, wenn Fixierungen dekonstruiert, (Gegen)Übertragungen analysiert und mit neuen Bedeutungsmöglichkeiten assoziativ gespielt werden kann. Dies hat für mich jedoch weder etwas mit der Konzeption der Rêverie zu tun, wie sie hier behandelt wurde, noch mit intuitiver Erkenntnis. Es erinnert an das gelöste, kreativ-humorvolle Schelmentum, wie es für das Vorbewusste charakteristisch ist. Ein Spiel aber ist eben genau keine letzte Wahrheit.

Die Alternative ist nun nicht jene, dem häufigen Vorwurf der Über-Intellektualisierung entsprechende, Haltung des zähneknirschenden Lacan’schen Denkers. Die „Otherness-of-the-other“ (Fink) erfordert genau jene offene, nicht-verstehen wollende, sogar auf das Unsinnige hörende, selbstverständlich beizeiten auch bildhafte Aufmerksamkeit. Aber eben ohne implizit-verstehende Abstraktion kraft emotionaler Erkenntnis, wie sie der Methode Ferros entspricht, der aus Diskursen eigene Bilder ableitet, statt den Diskurs selbst in Frage zu stellen. Der Verzicht auf die Rêverie aber geht mit einer Reduktion der Bedeutung der Analytikerin einher, ein Verlust von Bedeutungsmacht.

Wenn wir Rêverien hingegen als Phantasien begreifen, so können sie uns nützlich auf Lücken im Diskurs hinweisen, die wir mit eigenem Verstehen und Begehren füllen, an denen eine Exploration notwendig wäre. Ist nicht das Konzept der Rêverie selbst schon eine Phantasie? Eine Phantasie, wonach mit träumerischer Einfühlung ein vertrauensvolles Verständnis möglich wird? Analyse als aus sich rollendes Rad um die Achse der eigenen Person (ist es doch der Analytiker, der trotz gemeinsamen Träumens den Zugang zur Wahrheit hat)?

 

6. Fazit: Lob der methodologischen Enthaltung

„Die symbolische Methode übersetzt vom Blatt weg die manifeste Traumrede, bewahrt dabei deren Zusammenhang und schenkt ihr letztlich Vertrauen; sie setzt eine Erzählung in eine andere um. Die assoziative Methode löst dagegen die manifeste Erzählung auf, ohne ihr auch nur im geringsten Glauben zu schenken“ (Laplanche 1998a, S. 609).

Eine analytische Begegnung kommt nicht ohne persönlich-imaginären Bezug aus, doch gilt es, nicht das eigene, sondern das Andere anzuvisieren. Mit Laplanche bin ich der Meinung, dass wesentlich an der Psychoanalyse zuvorderst ihre Methode ist und nicht ihre daraus generierten Theorien, die in späteren Fällen zu einem scheinbar intuitiven Verstehen verführen, weil dieser Fall „klassisch ödipal“ sei, jener von „aggressiven Phantasien der paranoid-schizoiden Position“ handele. So stellt sich allgemein die prekäre Frage nach dem Verhältnis von psychoanalytischem Erkenntnisprozess und Theoriebildung, denn jede Theorie gibt bereits einen Deutungsrahmen vor, sei er noch so allgemein. Man denke etwa als Auslöser psychischer Probleme an Konflikte (welcher Provenienz auch immer (Trieb, Selbst, Objektbeziehung etc.). Eine Theorie setzt ein Paradigma voraus, welches – wie im Falle der Selbstpsychologie oder der ausschließlichen Deutung der Übertragung – ein vorgefertigtes Verständnis des analytischen Materials liefert (vgl. etwa Leithäuser/Volmerg 1979, S. 120 ff.). Meine Besprechung war der Versuch, diesen Modus auch im Falle der Ferro’schen Rêverie und auch der projektiven Identifizierung nachzuweisen.

Doch nicht nur Inhalte, auch bestimmte Strukturierungen des Materials können durch Theorie vermittelt sein. Diese Option scheint auf den ersten Blick besser zu sein, doch ist nicht auch dies problematisch, wenn es darum geht, die Deutungsmuster der Analysanden zu erkennen? Selbst recht abstrakte Begriffe wie ‚Besetzung’ verweisen beispielsweise auf triebtheoretische Verständnismodi. Es gilt wohl, die richtige Distanz von Theorie und Material zu halten, heißt: So wenig Theorie wie möglich, so viel wie nötig. Denn ohne Zäune lässt sich kein Feld abstecken. In diesem Komplex verstehe ich André Greens und Jean Laplanches Bemühungen um weitere Ausarbeitungen, die zunehmend mehr auf das Wirken von Strukturen zielen als auf Vermittlung konzeptueller Engführungen (etwa als Symbolismen des Selbst, projektive Identifizierung etc.). Natürlich herrscht in einer idealen Welt Einigkeit über das Feld der Psychoanalyse, jene Bezugsrahmen und Begriffe, die das Denken der Analytikerin strukturieren. Da dem nicht so ist, lässt sich wahrhaft fruchtbar diskutieren. Doch grundsätzlich – und dafür trete ich leidenschaftlich ein – sollte es keine Vermittlung fixer Wissensbestände oder Theorien geben, die a priori oder a posteriori in den Verständnisprozess eingeführt werden. Sie dienen nämlich nur der Analytikerin in einem Genießen einer phantasmatischen Verständnispotenz, die sich genau jenem verschließt, was zu ergründen ihr Auftrag ist.

 


1 Übersetzungen hier und nachfolgend durch den Autor.

2 Nachfolgend werden die Geschlechter der beteiligten Personen variiert.

3 Mit dem Freud’schen empfangenden Organ hörend fällt allerdings auf, dass Ferro von sich lösenden Spannungen spricht, also das Lustvolle betont. Dies als Ziel seines analytischen Verdauungsvorgangs? Belassen wir es zunächst in gleichschwebender Aufmerksamkeit.

4 Deutlich betonen möchte ich, dass ich mich für diese Abhandlung auf Ferros Konzeption stütze und explizit nicht Bions ‚träumerische Aufmerksamkeit‘ meine. Ohne hier zu sehr in die Tiefe gehen zu können, halte ich Bions Idee für kompatibel mit Freuds gleichschwebender Aufmerksamkeit, während Ferro deutlich weiter geht.

5 Dass er hier sogar etwas verdaut, was er nur aus zweiter Hand erfährt und daher überhaupt keinen Zugang zu Proto-Emotionen, Beta-Elementen und unbestimmten Stimuli hat, sei nur am Rande erwähnt.

6 Mir fällt Bion ein, der die Unwissenheit der „negative capability“ zur analytischen Grundfertigkeit erhoben hat und da erscheint mir das träumerische Assoziieren Ferros wie eine Flucht: Die Leere des Wissens wird mit eigenen Assoziationen gefüllt als ob er zu einem nächtlichen Himmel eigene Sterne hinzufügt, um ein gescheites Sternenbild zu erhalten.

7 Vermutlich würde die Einführung des Konzepts der Verdrängung in seine Theorie eine umfangreiche Neuausrichtung erfordern, da es dann, aufgrund der mit Verdrängung einhergehenden Entstellung, mit einem quasi unmittelbaren Zugang zur Wahrheit vorbei wäre (siehe unten).

8 Projektive Identifizierung verstehe ich hier als Emotionen, Einstellungen, innere Bilder usw. von denen Analytiker sagen, dass sie in sie hinein verlegt wurden, nach dem Muster „die Wut (Müdigkeit, Überdrüssigkeit), die ich empfinde, ist eigentlich deine, nicht meine“.

9 Z.B. ob vom Unbewussten überhaupt gesagt werden könne, dass es mittels organisiertem Denken zu erfassen sei oder ob es nicht vielmehr widersprüchlich, unlogisch und unsinnig sei. Daran anschließend: Geht es in der Psychoanalyse darum, dass der Analytiker sein Denken interpretiert? Ist das in diesem Fall (wo es nicht um die Analyse der Gegenübertragung geht) nicht genau die Illusion des intuitiven Verstehens als Abwehr der nicht verstehbaren Alterität des Anderen? So mündet der Prozess in einem Autoerotismus.

10 Man denke Ferenczis gescheitertes Experiment der gegenseitigen Analyse.

 

Literaturverzeichnis

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Autor:in: Stefan Ohlrich, M.A., studierte Deutsche Sprache und Literatur sowie Medien- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Hamburg. In der Masterarbeit befasste er sich mit der sprachlichen Konstruktion von Wirklichkeit aus kognitionslinguistischer Perspektive. Während er sich zunächst über Fernhochschulen sowie private und psychoanalytische Institute weiterbildete, studiert er aktuell an der Internationalen Psychoanalytischen Universität in Berlin und arbeitet freiberuflich als psychoanalytischer Berater.