Phyllis Metzdorf

Y – Z Atop Denk 2023, 3(3), 1.

Originalarbeit

Abstract: Dieser Aufsatz stellt Lacans Theorie des entfremdeten Subjekts der Sprache dar, das aus der Intervention des Signifikanten hervorgeht. Die rückwirkende Logik des Signifikationsprozesses erzeugt das heteronome Subjekt des Unbewussten, wobei die zirkuläre Wiederkehr des Signifikanten das Leben des Subjekts bestimmt. Basierend auf der Unterscheidung zwischen Wiederkehr1 und Wiederholung2 weist der Aufsatz auf die ethische Dimension des Unbewussten hin: In der psychoanalytischen Behandlung seinen Signifikanten konfrontierend, ist das Subjekt in der Lage, eine radikale Wahl zu wiederholen und sich selbst in die Position seines eigenen kausalen Urhebers zu setzen.

Übersetzung und Kommentar: Hilmar Schmiedl-Neuburg

Keywords: Entfremdung, Subjekt des Unbewussten, Wiederholung, Lacan‘sche Ethik

Veröffentlicht: 30.03.2023

Artikel als Download: pdfWiederkehr und das Lacan'sche Subjekt des Unbewussten

 

In Michael Endes Die Unendliche Geschichte erzeugt die Kaiserin einen Teufelskreis, wenn sie den Chronographen befiehlt, die Geschichte ihres Reiches von Anfang an zu erzählen. Der Chronograph ist gezwungen, die Geschichte des Imperiums in die Geschichte des Imperiums einzufügen, und die Geschichte muss sich wieder und wieder wiederholen. So tritt der Kreislauf der ewigen Rückkehr in Kraft und hindert die Figuren daran, ihrem unabänderlichen Lebenslauf zu entfliehen.

Der Kreislauf der ewigen Rückkehr ist ein Ende ohne Ende3, das in Lacans Theorie die eigentliche Bedingung der Existenz in der Sprache bildet. Es ist die schicksalshafte Artikulation der Struktur der Sprache im Leben des Subjekts, die er in Seminar XI als Funktion der Wiederkehr charakterisiert. Hier betritt Lacan das Feld der Rekurrenz, mahnt dabei aber zur Vorsicht, bemerkend, dass zwischen Wiederkehr und Wiederholung ein grundlegender Unterschied besteht (vgl. Lacan 1978, S. 48-54).

In diesem Artikel werde ich die Funktion von Wiederkehr als der strukturellen Bedingung des Subjekts in der Sprache und als Bewegung charakterisieren, die dem Lacan‘schen Subjekt des Unbewussten inhäriert: Wie ist Wiederkehr in der Konstitution des Subjekts begründet, und wie verhält sich Wiederkehr zur Wiederholung?

Im ersten Teil skizziere ich den Konstitutionsprozess des Subjekts, der mit der Entstehung des Signifikanten einhergeht. Die Voraussetzung dafür, dass ein Subjekt entsteht, ist der Andere, der über das Subjekt spricht und damit einen Platz im Symbolischen anbietet. Der Ur-Schritt der Subjektivierung besteht in dem vel4 der Entfremdung, der Wahl, dieses Angebot anzunehmen oder nicht. Inhärent ist dieser Wahl die Logik der Kopplung. Das Ur-Subjekt wird repräsentiert durch die Schnittstelle von Sein und Bedeutung, die zwei Mängel überlagert. Das Subjekt hält sich fest an dem Mangel im Begehren des Anderen, und der erste Signifikant taucht auf als Eingriff in die Einheit von Subjekt und Anderem. Er bedeutet das Begehren des Anderen und verleiht dem Subjekt einen Namen.

Dieses ursprüngliche paradoxe Signifikationsereignis ist der Schlüssel zum Signifikationsprozess, den ich im zweiten Teil darstellen werde. Die Signifikation erfolgt rückwirkend, und das Subjekt ist nur ein Nebeneffekt der selbstreferenziellen Funktion des Signifikanten. Das Subjekt bezieht sich auf sich selbst in Form einer trügerischen Identität, die in einem Moment der Schließung erscheint, der in der Signifikationsbewegung impliziert ist.

Der dritte Teil erklärt die Bestimmung des Subjekts durch die Funktion der Wiederkehr, seine Heteronomie unter der Rückkehr des Signifikanten, weist aber gleichzeitig auf die Ambiguität hin, die im Lacan‘schen Subjekt des Unbewussten involviert ist: Durch den Akt der Wiederholung ist das Subjekt in der Lage, sich selbst in die Position seines eigenen Verursachers5 zu setzen.

 

1. Der Konstitutionsprozess des Subjekts und das Erscheinen6 des Signifikanten

In Lacans Theorie bezieht sich Entfremdung auf den Konstitutionsprozess des Subjekts. Voraussetzung für die Entstehung eines Subjekts ist allerdings eine Entität, die das Subjekt hervorruft.

 

1.1. Der Vorrang des Anderen vor dem Subjekt

Wenn das Subjekt das ist, was ich sage, nämlich das durch Sprache und Sprechen bestimmte Subjekt, folgt daraus, dass das Subjekt in initio am Ort des Anderen beginnt.

Lacan 1978, S. 198

 

Das Subjekt ist zunächst kein Subjekt, sondern ein Kind einer Mutter. Für einen Säugling ist die Person, die die Rolle einer Mutter oder primären Fürsorgerin übernimmt, der Andere: Der Andere ist allmächtig und bedeutet dem Kind die ganze Welt. Das Kind erscheint im Symbolischen zunächst nicht als Subjekt, sondern als Möglichkeit, über die der Andere spricht und auf die er sich bezieht. Es ist ein Teil der Realität des Anderen, noch bevor es geboren wurde. Der Andere bezieht das mögliche Kind als neuen Teil seines Lebens in sein Leben ein, plant seine Alltagsroutine und Zukunft um das Kind herum und wendet seine Ideale auf das Kind an. Für den Anderen ist das Kind Bezugspunkt und Objekt des Begehrens (vgl. Soler 1995, S. 43; Fink 1997, S. 5-7).

Es gibt eine zentrale Ungleichgewichtigkeit in der Beziehung zwischen dem Anderen und dem Kind. Für das Kind ist der Andere alles. Für den Anderen ist das Kind ein Teil des Lebens, ein Objekt und ein Bezugspunkt. Das Kind erscheint im Symbolischen nicht als Subjekt, sondern als Punkt oder Objekt im Feld des Anderen. „Der Andere als Ort der Sprache – der Andere, der spricht – geht dem Subjekt voraus und spricht vor seiner Geburt über das Subjekt. Somit ist der Andere die erste Ursache des Subjekts. Das Subjekt ist keine Substanz; das Subjekt ist ein Effekt.“ (Soler 1995, S. 43).

Wir als Subjekte sind verursacht durch das, was uns vorausgeht: unsere Eltern und Bezugspersonen, und allgemeiner ausgedrückt durch die Struktur der symbolischen Ordnung. Das Subjekt ist nur ein Effekt, aber ein Effekt, der durch einen Eingriff erzeugt wird, an dem es durch Wahl beteiligt ist.

 

1.2. Entfremdung

Indem er über das Subjekt spricht, bestimmt der Andere die Position des Subjekts in der symbolischen Ordnung. Um den Subjektivierungsprozess zu verstehen, muss dies als Angebot verstanden werden: Der Andere bietet dem Kind einen Platz im Symbolischen an. Subjektivierung besteht in der Konfrontation des Kindes mit der Wahl, ob es diese Position annehmen will oder nicht. Diese Wahl nennt Lacan das „vel der Entfremdung“ (Lacan 1978, S. 211).

 

1.2.1. Das Vel der Entfremdung

Abbildung 1: Grafik reproduziert aus Lacan (1978, S. 211).

 

Das oben abgebildete Diagramm repräsentiert das vel der Entfremdung. Das vel der Entfremdung impliziert eine ausschließliche Wahl zwischen Sein und Bedeutung, so dass das Kind unweigerlich eine der Optionen ausschließen wird.

Bedeutung zu wählen bedeutet, die vorgegebene Position zu akzeptieren, die der Andere anbietet. Dies geht mit einer expliziten Unterwerfung einher, verschafft aber einen Subjektstatus, also die Fähigkeit, in der symbolischen Ordnung zu verstehen und sich zu orientieren. Dieses Subjekt ist, dies ist der Nachteil, vom Sein ausgeschlossen.

Wenn sich das Kind dagegen weigert, sich zu unterwerfen, kann es am Sein festhalten, aber sich nicht im Symbolischen verankern. Mit anderen Worten, es wird nicht in der Lage sein, die sozialen Beziehungen zu verstehen, die die Realität formen (vgl. Fink 1997, S. 49-52).

Die ausschließliche Wahl der Entfremdung beinhaltet eine eigene Logik. „Das vel der Entfremdung wird durch eine Wahl definiert, deren Eigenschaften davon abhängen, dass es in der Kopplung ein Element gibt, das, wie die Wahl auch immer ausfällt, ein weder das eine noch das andere zur Folge hat. Die Wahl also ist eine Frage des Wissens, ob man einen der Teile bewahren will, während der andere auf jeden Fall verschwindet.“ (Lacan 1978, S. 211).

Lacan erklärt die Logik des vel der Entfremdung durch die Mengenlehre: Die Wahl findet auf der Ebene der Kopplung statt, im Gegensatz zum Addieren. Was impliziert dies?

Beim Addieren zweier Mengen wird die Anzahl der Mengenelemente einfach aufsummiert. Was das Addieren nicht vermittelt, ist, dass es Mitglieder geben könnte, die zu beiden Mengen gehören: Diese Mitglieder erscheinen doppelt in beiden Mengen und sind daher identisch. Der Vorgang der Kopplung bildet also nicht nur die Summe der Elemente zweier unterschiedlicher Mengen ab, sondern auch die Schnittmenge der beiden Mengen (vgl. Lacan 1978, S. 210-211). Die Schnittmenge lokalisiert die identischen Elemente, die beiden Mengen gemeinsam sind. Man könnte sagen, die Schnittmenge identifiziert diese Elemente, und dies verursacht eine Spaltung. Etwas fällt von ihnen ab: der Unterschied in der Mitgliedschaft. Die Operation des Koppelns identifiziert einerseits die sich überschneidenden Elemente als gleich und schließt sie andererseits von der Differenz in ihnen selbst aus. Entfremdung ist die Wahl eines bestimmten Platzes im Symbolischen. Sie bewirkt eine Identifikation, die mit einer Spaltung, einem Ausschluss und einem Verlust einhergeht.

In der oben abgebildeten Grafik Lacans tritt die Entfremdung auf der Seite der Bedeutung auf.

„Veranschaulichen wir dies an dem, womit wir es hier zu tun haben, nämlich dem Sein des Subjekts, dem, was unter der Bedeutung da ist. Wenn wir uns für das Sein entscheiden, verschwindet das Subjekt, es entzieht sich uns, es verfällt in Nicht-Bedeutung. Wenn wir uns für Bedeutung entscheiden, überlebt die Bedeutung nur ohne den Teil der Nicht-Bedeutung, der streng genommen das ist, was sich in der Realisierung des Subjekts konstituiert, das Unbewusste. Mit anderen Worten, es liegt in der Natur dieser Bedeutung, dass sie, während sie im Feld des Anderen auftaucht, in einem großen Teil seines Feldes verdunkelt wird durch das Verschwinden des Seins, induziert durch die Funktion des Signifikanten.“ (Lacan 1978, S. 211)

Wie ist nun das Subjekt zu charakterisieren, das durch die Logik der Entfremdung hervorgebracht wurde?

 

1.2.2. Das Ergebnis der Entfremdung: Das Subjekt als Mangel im Begehren des Anderen

Die Konfrontation mit dem vel der Entfremdung führt zu einem Verlust oder Mangel, der die erste Repräsentation des Subjekts ist. Sie ist an der Schnittstelle von Sein und Bedeutung in Lacans Grafik der Entfremdung angesiedelt (oben in Kapitel 1.2.1. dargestellt). Lacan bezeichnet die Schnittstelle als „Nicht-Bedeutung“. (Lacan 1978, S. 211) Wie kann man ein Subjekt als bedeutungslosen Mangel verstehen?

Man könnte sagen, das Subjekt taucht zuerst als begehrendes Subjekt in den Lücken der Artikulationen des Anderen auf. Denken Sie an die Angewohnheit von Kindern eines bestimmten Alters, ihre Bezugsperson mit unersättlichen Fragen zu verfolgen. Lacan weist darauf hin, dass das Kind mit der endlosen Folge von Warums nicht versucht, seinen Horizont zu erweitern. Das Kind will wissen, was es wirklich ist, das der Andere begehrt. Es ist eine Reaktion auf die Artikulationen des Anderen, durch die das Kind versucht, der Bedeutung nachzuspüren, die es für den Anderen hat. Das Subjekt ist ein begehrendes Subjekt, und das begehrende Subjekt manifestiert sich als fortwährender Zweifel. Die Subjekt-Position ist „die einer ewigen und konstitutiven (Selbst-)Befragung: Was will der Andere von mir? Was bin ich für den Anderen?…“ (Žižek 2000, S. 248).

Bei dem Versuch, das Begehren des Anderen zu monopolisieren, entdeckt das Kind sich als den Lücken in den Artikulationen des Anderen nachjagend. Das Subjekt klammert sich gerade in die Leerstellen, wo der Andere an Konsistenz mangelt und aufhört, Bedeutung bereitzustellen. Dies ist die Nicht-Bedeutung des Anderen, in der das Subjekt sich selbst verwirklicht.

„Ein Mangel begegnet dem Subjekt im Anderen, gerade in der Andeutung, die der Andere ihm durch seinen Diskurs macht. In den Lücken des Diskurses des Anderen taucht in der Erfahrung des Kindes etwas radikal Kartierbares auf, nämlich: Dies sagt er zu mir, aber was will er? […] Es ist hier, wo das, was wir Begehren nennen, kriecht, entschlüpft, entflieht, wie das Frettchen. Das Begehren des Anderen wird vom Subjekt in dem erfahren, was nicht funktioniert, in den Mängeln des Diskurses des Anderen, und all die Warums des Kindes offenbaren weniger einen Eifer für den Grund der Dinge als eine Prüfung des Erwachsenen, ein Warum erzählst du mir dies?, immer von seinem Ursprung her wiederbelebt, welcher das Rätsel des Begehrens des Erwachsenen ist.“ (Lacan 1978, S. 214)

In seiner ursprünglichen Form ist das Subjekt der Mangel im Begehren des Anderen.

„Entfremdung erzeugt gewissermaßen einen Ort, an dem klar ist, dass es, bis jetzt, noch kein Subjekt gibt: einen Ort, an dem etwas auffallend fehlt. Die erste Gestalt des Subjekts ist genau dieser Mangel. Mangel hat bei Lacan in einem gewissen Maß einen ontologischen Status: Er ist der erste Schritt über das Nichts hinaus. […] Der Prozess der Entfremdung kann, wie es J.-A. Miller vorschlägt, betrachtet werden als das Subjekt in Form einer leeren Menge erzeugend […], ein Symbol, das das Nichts in etwas umwandelt, indem es es markiert oder repräsentiert.“ (Fink 1997, S. 52)

Das Subjekt ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Leerstelle, das Rohmaterial für den Signifikanten, um sein Zeichen einzuprägen. Dieses Ur-Subjekt der leeren Menge ist somit der Vorläufer des Signifikanten: Es bereitet den Grund, damit der Signifikant einschreiten und seine Funktion entfalten kann.

 

1.3. Das Erscheinen7 des Signifikanten

Das entfremdete Subjekt ist ein Mangel an Sein, das sich im Mangel im Begehren des Anderen realisiert. Der Mangel wirkt wie eine magnetische Anziehungskraft zwischen dem Subjekt und dem Anderen. In dieser Einheit ist kein Platz für Sprache als relationales Bedeutungssystem (vgl. Fink 1997, S. 54-58). Was Sprache einführt, ist einzig das Einschreiten des Signifikanten in diese Einheit.

 

1.3.1 Das Problem der Rückwirkung

Was einen Signifikanten qualifiziert, ist Relationalität: Ein Signifikant erlangt seinen Status als Signifikant nur durch Bezugnahme auf einen anderen Signifikanten. Bedeutung erscheint nur rückwirkend, indem ein Signifikant auf einen ersten Signifikanten zurückverweist (vgl. Evans 1996, S. 189). Damit also der erste Signifikant als Signifikant fungieren kann, ist die Präexistenz eines anderen Signifikanten erforderlich. Der erste Signifikant hätte niemals ohne den zweiten existieren können.

 

1.3.2. Der Signifikant des Begehrens des Anderen

Die Kohäsion zwischen dem Subjekt und dem Anderen provoziert das primäre Einschreiten eines Signifikanten. Bei der Konzeption der Idee der Entstehung des Signifikanten sind wir jedoch mit einem logischen Problem konfrontiert: Wie kann ein erster Signifikant entstehen, wenn die Voraussetzung hierfür ein bereits existierender Signifikant ist?

In diesem Aufsatz werde ich einigen von Lacans Bemerkungen in The Subversion of the Subject and the Dialectic of Desire und Bruce Finks Interpretation derselben nachgehen:

Der primäre Signifikant fungiert als Trennung der kohärenten Beziehung des Subjekts mit dem Begehren des Anderen (vgl. Lacan 2005, S. 693-694; Fink 1997, S. 57). Der primäre Signifikant schreitet ein, indem er das Begehren des Anderen benennt. Der Ur-Signifikant fungiert paradoxerweise als zweiter Signifikant, da er die Begierde des Anderen rückwirkend zum ersten Signifikanten macht (vgl. Fink 1997, S. 55-58). Dieser Signifikant ist S(A), „gelesen als: Signifikant eines Mangels im Anderen, eines Mangels, welcher der eigentlichen Funktion des Anderen als Schatztruhe von Signifikanten inhärent ist. Und dies ist insoweit, als das der Andere aufgefordert wird (chè vuoi8), für den Wert dieses Schatzes Antwort zu stehen“ (Lacan 2005, S. 693)

Seitdem gibt es einen Namen für das Begehren des Anderen, die dyadische Beziehung zwischen dem Subjekt und dem Anderen ist aufgehoben und das Subjekt ist nicht mehr nur ein Mangel am Anderen. Die Wirksamkeit des Begehrens des Anderen wird eliminiert und durch einen ersten Signifikanten ersetzt, der das Subjekt repräsentiert (vgl. Fink 1997, S. 55-58).

Der erste Signifikant hat, könnte man sagen, den Status eines Gründungsmythos. Logischerseits hat es vielleicht nie einen ersten Signifikanten gegeben, aber alles basiert auf ihm. An sich bedeutungslos, ist er die sinnlose Ursache, um die herum die bedeutungsreiche symbolische Ordnung angeordnet ist.9

 

2. Das Subjekt und der Signifikationsprozess

2.1. Das automatische Funktionieren des Signifikanten

Der Signifikant des Begehrens des Anderen S(A) ist entscheidend, weil alle anderen nachfolgenden Signifikanten sich auf diesen speziellen Signifikanten zurückbeziehen werden. So fungiert S(A) für das Subjekt als Verankerung im Symbolischen, ohne die es sich nicht in der Realität orientieren könnte.

Die neu auftretenden Signifikanten in ihrem Zusammenspiel mit S(A) bilden das grundlegende Funktionieren der Sprache (vgl. Lacan 2005: S. 693-694). Indem er sich auf einen anderen Signifikanten und schließlich auf S(A) bezieht, erschafft ein Signifikant Bedeutung. Sobald ein neuer Signifikant in ein bereits bestehendes Signifikantennetzwerk assimiliert ist, erfährt das Subjekt dies als neue Einsicht: Auf diese Weise schreitet Verstehen voran. Das Subjekt begreift sich selbst im Denken, aber paradoxerweise spielt das Subjekt in diesem Prozess keine Rolle. Das Zusammenspiel der Signifikanten funktioniert automatisch und erweitert das Signifikantennetzwerk in einem endlosen selbstreferenziellen Prozess. Der Signifikationsprozess erzeugt das Subjekt nur als Nebeneffekt: Es ist die Aggregation von Bedeutung, die aus der rückbezüglichen Referenz des Signifikanten abfällt. Der signifizierende Automatismus schafft so eine völlig unterjochte, heteronome Subjektivität (vgl. Fink 1997, S. 69-72).

 

2.2. Die Signifikationsbewegung: Identitätsbildung als Schließung

Weiter oben in der Argumentation habe ich die Logik der Entfremdung so erklärt, dass sie eine Identifikation, eine Spaltung, einen Ausschluss und einen Verlust beinhaltet. Das Ergebnis der ausschließlichen Wahl ist das entfremdete Subjekt, das in der Schnittstelle von Sein und Bedeutung, als zweier sich überlagernder Mängel, angesiedelt ist. Die Vereinigung der Mängel ruft die Intervention eines Signifikanten hervor, der die selbstreferenzielle Entfaltung der Signifikantenkette in Gang setzt. Im Folgenden werde ich skizzieren, wie dieser Prozess an der Konstitution sozialer Identitäten beteiligt ist, um die zeitliche Bewegung des Signifikanten zu explizieren.

In The Instance of the Letter in the Unconscious or Reason since Freud (Lacan 2005) verwendet Lacan das Beispiel zweier Türen, die bis auf die darauf angebrachte Inschrift „Gentlemen“ und „Ladies“ genau gleich sind.

Abbildung 2: Grafik reproduziert aus Lacan (2005, S. 416).

 

Die Unterscheidung zwischen den beiden Türen „Ladies“ und „Gentlemen“ ist zutiefst bedeutungslos. Die Türen sind identisch, es gibt keinen Unterschied zwischen ihnen, und auch nicht zwischen denen, die sie benutzen. Nur die Signifikanten machen den Unterschied: Sie schaffen sehr effizient eine ganze komplexe und scheinbar bedeutungsvolle Ordnung.

Es würde der Lacan‘schen Theorie nicht gerecht werden, zu behaupten, dass das Subjekt, um sich als männlich oder weiblich zu identifizieren, das Sein (in Bezug auf eine präexistierende Essenz und eine grundlegende Inkommensurabilität mit diesen Kategorien) leugnen und verdrängen muss und von seiner Essenz verbannt zu bestehen hat. Im Gegenteil, für Lacan sind Signifikant und Sein nicht einfach und rigoros voneinander abgeschnitten, wie zwei parallel existierende Universen. Vielmehr schafft der Signifikant seine Substanz als Rückwirkungseffekt. Der Signifikant – eine blinde Instanz vor dem Sinn – erschafft Bedeutung mit eminent materiellen Auswirkungen: die sexuelle Beziehung, die soziale Ordnung, das Subjekt (vgl. Zupančič 2017, S. 57-59, S. 77-84).

Die Spaltung und die Verdrängung, die mit dieser Ordnung verbunden ist, bezieht sich direkt auf diesen blinden Fleck, dass der Signifikant seine eigenen Bedingungen bestimmt. Der blinde Fleck ist nicht eliminierbar, er ist die ständige Präsenz des Unbewussten.

In seinem Artikel Who needs Identity? plädiert Stuart Hall (2011) für eine Identitätspolitik der Unterdrückten und konzeptualisiert Identität als fortlaufende Veränderungsbewegung: Identität wird nicht als solide Einheit angegangen, sondern im Sinne des Fortschreitens, des Weitergehens. Er versteht Identität als historischen Prozess des Werdens, der von Konflikten und politischen Kämpfen angetrieben wird.

Hall begreift diese Bewegung als einen Signifikationsprozess, der sich auf Ausgrenzung stützt. Einer scheinbar homogenen Einheit (einer Kategorie, einer sozialen Gruppe oder einem Individuum) ist eine Spaltung inhärent. Die Antinomie ist die Essenz jeder homogenen Identität. Eine Identität ist konstitutiv von ihrem Außen abhängig (vgl. Hall 2011, S. 4-6). Der Entstehungsprozess einer sozialen Gruppe beruht auf der Konstruktion von Andersheit. Darauf bezieht sich der Begriff des Othering. Othering ist die Konstruktion einer Gruppe durch Zuschreibung von Fremdheit, die mit Inferiorisierung und Unterdrückung einhergeht (vgl. Jensen 2011, S. 65). „[D]ie ‚Einheiten‘, als die sich die Identitäten proklamieren, werden tatsächlich im Spiel von Macht und Ausschluß konstruiert und sind das Ergebnis nicht einer natürlichen und unvermeidlichen oder ursprünglichen Totalität, sondern des naturalisierten, überdeterminierten Prozesses der ‚Schließung‘.“ (Hall 2011, S. 5).

In Halls Worten vollzieht sich Identitätsbildung im Sinne von „Schließung“. Aber dies ist nur der definierende Teil der Identitätsbewegung. Um den gesamten Prozess zu beschreiben, bezieht er sich auf den Begriff der „Naht“ (Hall 2011, S. 6).

Unter Bezugnahme auf Lacans ursprüngliche Bemerkungen zum Begriff der Naht führt Jacques Alain Miller ihn 1965 in seinem Aufsatz Suture – Elements of the Logic of the Signifier (1977-78) näher aus. In seinem Artikel systematisiert Miller die Bedeutungslogik unter Bezugnahme auf Freges Theorie der natürlichen Zahlen. Das Konzept der Naht beinhaltet die gegenseitige Abhängigkeit und Reproduktion der Struktur und ihres Mangels (der das Subjekt ist), was in einer fortschreitenden Bedeutungsbewegung resultiert.

„[V]erkenntnis findet ihren Ausgangspunkt in der Bedeutungsproduktion. Wir können sagen, dass sie nicht als ein Vergessen konstituiert ist, sondern als eine Verdrängung. Um sie zu bezeichnen, wähle ich den Namen der Naht. Naht benennt die Beziehung des Subjekts zur Kette seines Diskurses; wir werden sehen, dass es dort als das Element auftritt, das mangelt, in Form eines Ersatzes.“ (Miller 1977-78).

Der Signifikant fährt fort als selbstreferentielle Bewegung, die das selbstidentische Subjekt als trügerische Homogenität bewirkt. Diese Bewegung beinhaltet den entscheidenden Moment der Schließung, des sich Schließens des Signifikanten mit sich selbst. Der Moment der Schließung situiert die Funktion der Wiederkehr.

 

3. Das Subjekt des Unbewussten

Die Konzeption der Subjektkonstitution als Schließung aufgreifend, werde ich nun das heteronome Gesicht des Lacan‘schen Subjekts hervorheben. Dieses Subjekt ist eine Erstarrung.

„[Ein] Signifikant ist das, was ein Subjekt für einen anderen Signifikanten repräsentiert. Der Signifikant, der sich selbst im Feld des Anderen erzeugt, manifestiert das Subjekt seiner Signifikation. Aber er fungiert als Signifikant nur, um das fragliche Subjekt auf nichts anderes als einen Signifikanten zu reduzieren, um das Subjekt in derselben Bewegung zu versteinern, in der er das Subjekt aufruft, als Subjekt zu fungieren, zu sprechen. Genau genommen ist hier die zeitliche Pulsation, in der sich das einrichtet, was charakteristisch ist für das Abscheiden des Unbewussten als solchem – das Schließen.“ (Lacan 1978, S. 207).

In dem Moment, in dem das Subjekt auf die Bühne gebracht wird, ist es versteinert. Dieses Zusammenspiel von Subjektivierung und Abtötung ist das, was Lacan als „zeitliches Pulsieren“ des Unbewussten bezeichnet. Die Schließung qualifiziert das zeitliche Pulsieren des Unbewussten. Ich behaupte, dass genau dies der Funktion der Wiederkehr entspricht.

Im Folgenden diskutiere ich die Ambiguität involviert im Lacan‘schen Subjekt des Unbewussten, indem ich zunächst die Heteronomie des Subjekts unter der Funktion der Wiederkehr aufzeige und anschließend auf die Fähigkeit des Subjekts hinweise, über seine Bestimmung durch den Signifikanten hinauszugehen.

 

3.1. Die Bestimmung des Subjekts durch die Funktion der Wiederkehr10

Wiederkehr ist die Rückkehr des Signifikanten im Leben des Subjekts. Der Signifikant kehrt zurück, weil alle anderen Signifikanten sich auf ihn zurückbeziehen, während der Signifikant selbst aus dem Blickfeld bleibt. Die Funktion der Wiederkehr ereignet sich als Automatismus, der sich der Kontrolle des Subjekts entzieht. „[D]as gespaltene Subjekt […] bleibt fixiert oder unterworfen und erlangt als solches eine Art Dauerhaftigkeit. Die symptomatische Fixierung des Subjekts hat eine metaphorische Struktur, die eines sinnlosen Signifikanten, der für das oder gegenüber dem Subjekt steht.“ (Fink 1997, S. 70).

Der zurückkehrende Signifikant ist ein Name, zunächst sinnlos, aber durch Bezugnahme auf andere Signifikanten erzeugt er Bedeutung: das Subjekt und seine Realität. Éric Laurent erklärt, wie diese Funktion das Leben des Subjekts bestimmt:

„In dem Moment, in dem sich das Subjekt ($) mit einem Signifikanten identifiziert, wird es von einem Signifikanten für einen anderen repräsentiert (S1 → S2). Zum Beispiel wird ein ‚böser Junge‘ in Bezug auf das Ideal seiner Mutter als ‚böser Junge‘ repräsentiert. So dient ‚böser Junge‘ (oder jede andere Identifikation, die einst als Hauptsignifikant diente) dem Subjekt sein ganzes Leben lang als Richtlinie. Es ist als solcher definiert und verhält sich auch so. In dem Moment, in dem sich das Subjekt mit einem solchen Signifikanten identifiziert, ist es wie versteinert. Es ist definiert, als ob es tot wäre oder als ob ihm der lebendige Teil seines Seins fehlte, der sein Genießen11 enthält.“ (Laurent 1995, S. 25).

Erst in Beziehung auf die Ideale und Erwartungen des Anderen (z. B. der Eltern) gewinnt der Name, den sie ‚das Subjekt‘ nennen, Bedeutung. Auf diese Weise bestimmt der Name die Position des Subjekts im Symbolischen. Das Subjekt ist das Signifikat, und das bedeutet wörtlich markiert zu sein, stigmatisiert. Deshalb setzt Lacan die Funktion des Signifikanten mit Skarifizierung gleich (vgl. Lacan 1978, S. 206).

 

3.2. Die Ausgrabung der Ursache und der Akt der Wiederholung12

Die Weise des Leidens des Subjekts nimmt unter der schicksalshaften Funktion des Signifikanten eine musterhafte Gestalt an. Beim Eintritt in das analytische Setting mag das Subjekt geneigt sein, seinen Problemen bis zu der Ursache nachzuspüren. Aber ist es wirklich eine so gute Idee, an die Kraft der Struktur zu glauben? Wäre es nicht besser, nach vorne zu schauen, Maßnahmen zu ergreifen und die Veränderung herbeizuführen?

Lacans Antwort lautet: „Die kreationistische Perspektive ist die Einzige, die es einem erlaubt, einen flüchtigen Blick auf die Möglichkeit der radikalen Eliminierung Gottes zu werfen.“ (Lacan 1992, S. 213).

Lacan rät, den Moment der Schöpfung zu betrachten, um dem Bann der Struktur zu trotzen: Die analytische Behandlung besteht also in einer Ausgrabung der Ursache, die aber eine besondere Wendung nimmt.

Wie Soler betont, geht die Behandlung vom denkenden Subjekt aus. Das leidende Subjekt bleibt seinen Symptomen verhaftet und verweilt beim Affekt; im Gegensatz dazu ermöglicht das denkende Subjekt die Kartierung eines Bedeutungsnetzwerks. Dies geschieht mittels freier Assoziation (vgl. Soler 1995, S. 41; Laurent 1995, S. 26).

In Seminar I erklärt Lacan als Ziel der Behandlung die „vollständige Rekonstruktion der Geschichte des Subjekts“ (Lacan 1991, S. 12). Doch obwohl die Behandlung auf dem Denken aufbaut, ist dies nicht eine Sache des Erinnerns. Bereits in Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten bemerkt Freud, dass das Erinnern zu keinen überzeugenden Ergebnissen in der Behandlung führt (vgl. Freud 1914, S. 151-152). In der Tat geht es Lacan bei der Behandlung nicht um biographische Erzählung, damit das Subjekt etwas über sich selbst erfährt. Auch wenn „die Psychoanalyse dazu tendiert, dem Analysanden immer mehr seiner oder ihrer sich wiederholenden Objektwahlen, Beziehungen, Szenarien usw. durch deren Serialisierung bewusst zu machen“ (Fink 1995, S. 224), ist Steigerung des Selbstgewahrseins nicht ihr Ziel. Während seiner ganzen Lehrtätigkeit hat Lacan der Ich-Psychologie nachdrücklich widersprochen (vgl. Evans 1996, S. 52-54).

Verstehen ist nur die Assimilation eines weiteren Signifikanten in ein bereits etabliertes Signifikantennetzwerk und ändert daher nichts an der Struktur des Netzwerks. Damit Veränderung stattfinden kann, muss das Subjekt jedoch zum Nullpunkt seiner eigenen Existenz zurückkehren. „[Man] muss den Punkt entdecken, an dem das Subjekt selbst eine (aktive) Rolle in der gesetzmäßigen, kausalen Notwendigkeit spielt, den Punkt, an dem das Subjekt selbst bereits im Voraus in scheinbar subjektunabhängige Kausalitätsgesetze eingeschrieben ist.” (Zupančic 2011, S. 33).

„Das Subjekt an sich; das Erinnern an seine Biographie, all dies geht nur bis zu einer bestimmten Grenze, die als das Reale bekannt ist“ (Lacan 1978, S. 49). In der Behandlung geht es darum, das Subjekt an diese Grenze zu führen. Es ist eine Grenze, die sich dann als Schwelle entpuppt, und Wiederholung ist der Akt des Durchquerens.

Wiederholung beinhaltet das Wiederholen einer konfliktuellen Begegnung. Lacan stellt fest, dass das Subjekt im Wiederholen gezwungen ist, „die verpflichtende Karte“ zu ziehen (Lacan 1978, S. 67): Es wird erneut mit der erzwungenen Wahl konfrontiert, dem vel der Entfremdung.

Zupančič betont, dass die Psychoanalyse nur auf der Grundlage der Behauptung dieser primären paradoxen Wahlfreiheit operieren kann.

„Das Subjekt ist zugleich ‚untertan’ seines (oder dienstbar seinem) Unbewussten als auch dasjenige, das, letzten Endes, als ‚Subjekt‘ des Unbewussten, als das angesehen werden muss, das dies gewählt hat. Diese Behauptung, das Subjekt wähle sozusagen sein Unbewusstes – man könnte es das „psychoanalytische Postulat der Freiheit“ nennen – ist die eigentliche Möglichkeitsbedingung der Psychoanalyse. Der Perspektivenwechsel, der das Ende der Analyse darstellt, oder das (Lacan’sche) la passe, kann nur vor dem Hintergrund dieses Postulats erfolgen. Diese anfängliche Wahl kann wiederholt werden – die Analyse kommt zu ihrem Abschluss, wenn sie das Subjekt an die Schwelle einer anderen (einer zweiten) Wahl bringt, das heißt, wenn das Subjekt erneut die Möglichkeit der Wahl findet.“ (Zupančic 2011, S. 35).

Die einzige Möglichkeit, den Fallstricken der Wiederkehr zu entkommen, besteht darin, zu berücksichtigen, dass wir aktiv in den scheinbar unvermeidlichen Lauf der Ereignisse involviert waren, die die Geschichte unseres Lebens ausmachten. „Letztendlich waren Sie es, der diese Ursache zu der Ursache gemacht hat. Es gibt keine Ursache für die Ursache Ihrer Handlung; die Ursache der Ursache kann nur das Subjekt selbst sein. In Lacan’scher Terminologie ist der Andere des Anderen das Subjekt.“ (Zupančic 2011, S. 34).

Es ist leicht, Gott und all die externen Vaterfiguren anzuprangern, aber um sie radikal abzusetzen, ist es notwendig, sich unserem selbstbezogenen Autoritarismus zu stellen.

 

Konklusion

Das Subjekt als sich selbst erkennende Entität entsteht erst durch die Intervention des Signifikanten S(A). Als Ergebnis dieser Operation nimmt das Subjekt eine Identität an und erschafft gleichzeitig sein Gegenteil, den Anderen. Der Andere ist das konstitutive Außen des Subjekts. Er ist unerreichbar und entzündet eine leidenschaftliche Liebes- und Hassbindung. So kann der Andere sehr unterschiedliche Repräsentationen annehmen, darunter „Mutter“, „Natur“, „der Fremde“, „Frau“, „Tier“.

Daher ist es eine konstitutive Täuschung, dass der Andere uns vorausgeht. Der Andere wird in dem Moment geschaffen, in dem das selbstbewusste Subjekt des Signifikanten erscheint. Aber dem Subjekt erscheint es zwangsläufig so, als wäre der Andere seit unvordenklichen Zeiten da gewesen. Der Signifikant erschafft somit rückwirkend die Vergangenheit in einem Moment der Schöpfung ex nihilo.

Der primäre Signifikant selbst nimmt darin eine besondere Funktion ein. Er ist von Bedeutung getrennt, aber in dieser Fähigkeit bildet er die eigentliche Voraussetzung dafür, dass eine sinnvolle Ordnung sich herstellt. Er ist in der Struktur, die er erschafft, nicht zu erkennen, er ist der blinde Fleck der Struktur. Dies ist nichts weniger als das Unbewusste.

Rückwirkung ist konstitutiv für die Bedeutungsbewegung. Die Entstehung der Dinge geschieht im Rückblick. Und obwohl das Subjekt begründet und vermeint, dass es der Handelnde dieses Prozesses ist, ist es nur das Ergebnis des selbstreferenziellen Bedeutungsautomatismus.

Teil der Bedeutungsbewegung ist ein Moment der Schließung, das für die Identitätsbildung im Sinne einer trügerischen kohärenten Homogenität verantwortlich ist. Man könnte sagen, dass dies der Moment ist, in dem sich die Bedeutungskette in sich selbst schließt. Dies impliziert eine Zeitlichkeit, die der Funktion der Wiederkehr entspricht.

Wiederkehr ist die echohafte Rückkehr des ursprünglichen sinnlosen Signifikanten. Sie fungiert als Stigma und bestimmt die Position des Subjekts im Symbolischen. Sie bestimmt dessen Vergangenheit und dessen Zukunft – mit anderen Worten, sie ist die schicksalshafte Artikulation der Bedeutungsbewegung. Ist das Subjekt heteronom, dann manifestiert sich die Heteronomie als Wiederkehr.

Nun, wenn dies das Ende der Geschichte wäre, könnten wir genauso gut hier aufhören und uns dem vorherbestimmten Ablauf der Ereignisse beugen. Warum überhaupt die Idee der Veränderung in Betracht ziehen?

Tatsächlich scheint die Idee des Unbewussten dem Subjekt auf den ersten Blick jede Handlungsfähigkeit zu nehmen, weshalb ihr von einer großen Reihe von Linken widersprochen wird. Dies gilt beispielsweise für die Kritische Psychologie, die sich im Kontext der 68er-Bewegung an der Freien Universität Berlin entwickelt hat. Vertreter der Kritischen Psychologie kehren der Psychoanalyse den Rücken und betreiben eine wissenschaftliche Forschung, die aus ihrer Sicht vom Standpunkt des Subjekts ausgeht. Dies impliziert die Grundannahme, dass psychische Belastungen durch bedrückende soziale Bedingungen verursacht werden, und zielt darauf ab, dem Subjekt seine Handlungsmöglichkeiten gegen diese bewusst zu machen.

Die Kritische Psychologie besteht zu Recht auf der Handlungsmacht des Subjekts, denn wenn wir der Herrschaft des Herrn, des Vaters, des Führers entkommen wollen, müssen wir dem Subjekt einen freien Willen zuschreiben. Dabei greift die Kritische Psychologie jedoch fragwürdigerweise auf das autonome Subjekt zurück und externalisiert jede Form von Konflikt, Verdrängung und Autorität. Jedoch ist es nicht möglich, Heteronomie und Autoritarismus einfach mit ihrer Verortung im Außen zu begegnen. Es ist zu einfach, das Subjekt dem unterdrückenden Außen oder der heteronomen Struktur gegenüberzustellen.

So wie es nicht ausreicht, lediglich die Existenz Gottes zu widerlegen, macht es keinen Sinn, die Idee des Unbewussten aufzugeben. Im Gegenteil: Die grundlegende Erkenntnis über das Unbewusste ist, dass, je mehr wir verdrängen, wir umso mehr unter seine Herrschaft geraten. Das Unbewusste ist gerade deshalb wirksam, weil es geleugnet wird.

Allein die Annahme der konstitutiven Verstrickung des Subjekts in die heteronome Struktur, seiner Beteiligung an der Konstituierung seiner eigenen Unterdrückung, ermöglicht einen Wechsel der Perspektive: Diese Perspektive ist es, die es dem Subjekt ermöglicht, sich in die Position der Ursache seiner eigenen Handlungen zu setzen.

 


1 Im Orig. deutsch (Anm. d. Übers.), so auch im Folgenden.

2 Im Orig. deutsch (Anm. d. Übers.), so auch im Folgenden.

3 Im Orig. end (ggfls. auch ‚Ziel‘; Anm. d. Übers.).

4 lat. ‚oder‘ (Anm. d. Übers.)

5 Im Orig. causal agent (Anm. d. Übers.)

6 Im Orig. emergence (Anm. d. Übers.).

7 Im Orig. emergence (Anm. d. Übers.).

8 Bemerkung der Autorin: Italienisch für „Was willst du?“.

9 Lacan schreibt diesem Ur-Signifikanten eine Materialität und schöpferische Funktion zu. In diesem Zusammenhang diskutiert Alenka Zupančič den Kreationismus, der in Lacans Theorie des Signifikanten mitschwingt. „Wir müssen nur die Schöpfung Gottes durch die Schöpfung des Menschen (die Natur als subjektiv/diskursiv konstituiert) ersetzen, und wir erhalten eine seltsam ähnliche Frage: untersucht die Wissenschaft nur etwas, was wir selbst als solches konstituiert haben, gesetzt (als außer uns), oder ist dieses Außen von uns unabhängig, und hat es schon lange vor uns genauso existiert, wie es ist? Die lacanianische Antwort wäre: es ist unabhängig, wird dies aber erst genau im Moment seiner diskursiven ‚Schöpfung‘. Das heißt: mit der Emergenz – ex nihilo, warum nicht? – des reinen Signifikanten und damit der Realität, in der der Diskurs Konsequenzen hat, erhalten wir eine von uns unabhängige physikalische Realität.“ (Zupančič 2017, S. 82-83).

10 Im Orig. deutsch (Anm. d. Übers.)

11 Im Orig. jouissance (Anm. d. Übers.)

12 Im Orig. deutsch (Anm. d. Übers.).

 

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Autor:in: Phyllis Metzdorf studiert Kulturwissenschaft in Berlin.

Übersetzer:in: PD Dr. Hilmar Schmiedl-Neuburg, ist Privatdozent am Philosophisches Seminar der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Faculty am Department of Philosophy der University of Massachusetts Boston.