Cultural, Social and Psychoanalytic Perspectives

Carlo Bonomi

Y – Z Atop Denk 2023, 3(8), 3.

Abstract: Rezension des Buches: Dimitrijević, Aleksandar und Buchholz, Michael B. (Hg.) (2022): From the Abyss of Loneliness to the Bliss of Solitude: Cultural, Social and Psychoanalytic Perspectives. Bicester/Oxfordshire: Phoenix Publishing House Ltd, 347 Seiten.*

Übersetzung und Kommentar: Hilmar Schmiedl-Neuburg

Keywords: Rezension, Alleinsein, Einsamkeit

Veröffentlicht: 30.08.2023

Artikel als Download: Rezension von Carlo Bonomi


Obwohl Einsamkeit in unserer Gesellschaft zu einem drängenden Problem geworden ist, besonders während der Pandemie und den Lockdowns von 2020 und 2021, schreiben Psychoanalytiker sehr wenig über Einsamkeit und noch weniger über das Alleinsein. Dieses facettenreiche Buch bietet eine umfassende Abhandlung über Einsamkeit und Alleinsein, die sicher gegründet ist auf kulturellen und philosophischen Überlegungen und epidemiologische, entwicklungsbezogene, soziologische und neurowissenschaftliche Forschung berücksichtigt. Es besteht aus zwanzig faszinierenden Aufsätzen von fünfzehn prominenten Wissenschaftlern aus Disziplinen, die in irgendeiner Weise mit der Psychoanalyse oder der klinischen Psychologie verbunden sind. Das Ergebnis ist eine kraftvolle und zugleich subtile Erkundung der grundlegenden menschlichen Erfahrung des Alleinseins und ihrer Umwandlung in die Tragödien seelischer Isolation.

Die zwanzig Aufsätze sind in vier Teile gegliedert, denen jeweils eine ausführliche Einleitung vorangestellt ist: I. Philosophie und Kultur, II. Kunst und Literatur, III. Entwicklungspsychologie und Gesundheit und IV. Psychoanalyse. Fünf Essays wurden darüber hinaus von den Herausgebern selbst verfasst: Aleksandar Dimitrijević schrieb die Kapitel 4, 6 und 10: „Historische Wurzeln der Einsamkeit und des privaten Selbst (mit kontinuierlicher Bezugnahme auf Shakespeare)“ („Historical roots of solitude and private self (with continual reference to Shakespeare“)2 (S. 57- 68); „Der Mythos vom einsamen Künstler“ („Myth of the solitary artist“) (S. 103-119); und „Einsamkeit und unsichere Bindung“ („Loneliness and insecure attachment“) (S. 185-199). Michael Buchholz schrieb Kapitel 3 und 20: „Einsamkeit der einsamen Wölfe – Über eine besondere Variante des Terrorismus“ („Lone wolves’ loneliness—About a special variant of terrorism“) (S. 31-56); und „Stärkung der menschlichen Verbindung: In der Psychotherapie ist ‚Wir tun‘ wichtiger als Intervention“ („Strengthening the human bond: in psychotherapy, ‚doing We‘ is more important than intervention“) (S. 319-340).

Aleksandar Dimitrijević ist Dozent an der Internationalen Psychoanalytischen Universität und niedergelassener Psychoanalytiker in Berlin. Er ist außerdem einer der Bandherausgeber der International Sándor Ferenczi Network Edition der Werke Sándor Ferenczis; Michael B. Buchholz ist Professor emeritus an der Internationalen Psychoanalytischen Universität in Berlin, Sozialwissenschaftler und Psychoanalytiker.

Die Unterscheidung zwischen Alleinsein und Einsamkeit ist dem Englischen eigen. Im Italienischen, Französischen und Deutschen wird für beide das gleiche Wort verwendet. Im Eröffnungskapitel mit dem Titel „Die verborgene Sozialität des alleinseienden Subjekts: phänomenologische und psychoanalytische Reflexionen über Einsamkeit“ („The hidden sociality of the solitary subject: phenomenological and psychoanalytical reflections on loneliness“) (S. 5-17) hat die Philosophin Jagna Brudzińska viel über die philosophischen Spekulationen zu sagen. Ihr Punkt ist, dass man die verborgenen sozialen Annahmen der Autoren hinzufügen und in die Theorie einfügen muss – eine großartige Eröffnung des Buches. Der Kulturwissenschaftler Colum Kenny fährt im nächsten Kapitel (S. 19-29) mit einem informativen Überblick über Einsiedelei in verschiedenen Kulturen und der Phänomenologie des Asketismus fort und führt den Leser zu den modernen Selbst- und Körpertechnologien. Es hilft Ärzten, die Hintergründe anorektischer Störungen besser zu verstehen.

Die Ignoranz gegenüber sozialen Zusammenhängen ist das Thema von Buchholz' Beitrag zum „Einsamer Wolf“-Terrorismus (S. 31-56). In einer detaillierten Analyse beschreibt er die Geschichte der „einsamen Wölfe“ (z. B. in Russland, Ende des 19. Jahrhunderts), von der aus er einen Zustand des Selbst dokumentiert, der als „Null-Grund“ bezeichnet wird und in den „Einsame Wölfe“ fallen, wenn sie ihre terroristischen Absichten mitteilen – und ihre „Freunde“ und Verwandten sich von ihnen in gespannter Neugierde zurückziehen. Diese soziale Kontextualisierung macht sie zu „einsamen Wölfen“. Als nächstes lässt uns Dimitrijević an seinem profunden Wissen über Shakespeare teilhaben und zeigt uns, wie einsichtsreich dieser Dichter und Autor war. Er wusste alles, die verborgenen Dimensionen der menschlichen Erfahrung, einschließlich die der gebrochenen Herzen.

Tatsächlich, „Alleinsein und Einsamkeit sind keine Grundgefühle wie Trauer oder Freude. Es sind historisch veränderliche Konzepte“ (S. 78), beobachtet die Musikwissenschaftlerin (und Psychologin) Helga de la Motte- Haber, die den Leser durch ein wunderbares Panorama der Einsamkeit führt – dokumentiert in musikalischer „Sprache“. Dies ist so kunstvoll geschrieben, dass es Zeit braucht, diesen Beitrag mit dem Titel „Einsamkeit und Alleinsein: über historische Bedeutungstransformationen und ihren Ausdruck in der Kunst, insbesondere in der Musik“ („Loneliness and solitude: on historical transformations of meaning and their expression in art, especially music“) (S. 77-101) zu lesen; es regt an, einen Stapel von Musikaufnahmen neben das Buch zu legen und sich alle Beispiele anzuhören. Man kann Karin Danneckers Beitrag „Orte der Einsamkeit“ („Places of Loneliness’“) (S. 121-146) über die Darstellung von Einsamkeit in der Kunst als Ergänzung zu den musikalischen Analysen lesen; Dannecker ist Professorin für Kunsttherapie und was sie zu sagen hat, spiegelt eine andere Seite davon wider, wie sehr Einsamkeit ein Thema für Kunst und Künstler ist. Und es gibt noch einen anderen Ort für Kunst – die Bühne und das Theater. Dominic Angeloch, Experte für bionisches Denken, untersucht anhand von Hurlyburly, einem Theaterstück von David Rabe, eindrucksvoll, wie „Kommunikation“ von den Schauspielern in ihren Rollen genutzt wird, um jeden Kontakt, jede menschliche Begegnung zu vermeiden (S. 147-165). Je mehr die Charaktere reden, desto isolierter werden sie, und ihre kontinuierlichen Kommunikationsbemühungen führen dazu, dass sie sich immer mehr allein fühlen. „[Sprache] ist hier das Mittel, mit dem die inneren und äußeren Verbindungen zerstört werden“ (S. 158). Das Studium dieses Artikels lehrt uns, wie sehr erkennbar ähnliche Prozesse von Klinikern, Künstlern und Autoren gemacht werden.

Diese Beiträge dokumentieren Säkularisierung und Individualisierung und damit verbundene Prozesse, die die Atomisierung der Gesellschaft sowie eine individualistische Konzeption des „Ich“ vorantreiben. Dimitrijević hat Recht, wenn er schreibt, dass „die Entstehung des privaten Selbst eng mit dem simultanen Erscheinen des Alleinseins verbunden war.“ (S. 62).

Heutzutage empfinden wir das Alleinsein im starken Gegensatz zum Mittelalter oft als „ein schmerzhaftes Gefühl der Entfremdung oder sozialen Trennung von bedeutenden anderen“ (S. xix). Das Auftauchen von Alleinsein und Einsamkeit ist in der englischen Sprache zu Beginn der frühen Neuzeit nachgewiesen, aber „erst am Ende des 18. Jahrhunderts bekam Einsamkeit die Bedeutung, die wir ihr heute geben“ (S. 67). Auf dem Höhepunkt der „egoischen Allmacht … in der Geschichte des Abendlandes“ (S. 9) war ein unverwundbares Ich zum „Prinzip nicht nur der theoretischen, sondern auch der praktischen Autonomie“ (S. 9) geworden, dabei die Form eines „gnadenlosen inneren Richters“ annehmend (S. 9).

Während des Ersten Weltkriegs postulierte der Philosoph Karl Jaspers: „‚Ich‘ zu sein bedeutet, einsam zu sein.“ „Einsam zu sein oder nicht einsam zu sein, ist keine Wahl … [es] ist eine grundlegende Situation der menschlichen Existenz.“ (S. 10). Doch im philosophischen Diskurs wurde das solipsistische Paradigma kurz darauf in die These der „primären Intersubjektivität“ umgekehrt, nämlich die Entdeckung, dass „das Subjekt oder Ego im Kern immer durch Intersubjektivität gekennzeichnet ist“ (S. 12). In zwei weitreichenden Beiträgen in den Kapiteln 6 und 10 zeigt Dimitrijević, wie Konzeptionen von Selbstbewusstsein in der präreflexiven Welt unseres lebenden Körpers verwurzelt sind, in der der affektive Austausch und die Involvierung mit anderen Subjekten eine Voraussetzung und kein Endpunkt ist – eine Prämisse, von der Künstler aus arbeiten können. Dennoch sind sie in ein bestimmtes soziales und kulturelles Umfeld und eine gewisse Geschichte eingebettet; daher ist der „einsame Künstler“ ein Mythos. In seinem Beitrag über „Einsamkeit und unsichere Bindung“ („Loneliness and insecure attachment“) (S. 185-200) erklärt Dimitrijević, wie diese neue Perspektive weitgehend durch die Bindungstheorie, die daraus resultierende Säuglingsforschung und die zeitgenössische Evolutionstheorie, das „Rückgrat“ aller Lebenswissenschaften, untermauert wurde. „Unser Gehirn ist bei der Geburt weitgehend ‚leer‘ und es gibt viel Platz darin zum ‚Hochladen neuer Software‘.“ (S. 190) Menschliche Säuglinge sind zudem auf einzigartige Weise in der Lage, Bewegungen und Gesichtsausdrücke nachzuahmen, und dies schon bereits zwanzig Minuten nach der Geburt. Dank seiner außergewöhnlichen Plastizität „entwickelt das Gehirn Synapsen und Nervenbahnen mit unglaublicher Geschwindigkeit“ (S. 191), aber während das Gehirn auf die Verarbeitung sozialer Interaktion vorbereitet ist, „müssen die Details davon in jeder einzelnen Dyade ausgehandelt werden“ (S. 191). Augenkontakt, soziales Lächeln, Weinen, Armheben, gegenseitige Aufmerksamkeit, gemeinsame Aufmerksamkeit und andere visuelle, taktile und auditive Interaktionen mit einer engagierten Bezugsperson dienen der Affektregulation und der Schaffung eines grundlegenden Verbundenheitsgefühls, das die Fähigkeit des Säuglings, allein zu sein, unterstützt. Gerade weil das Teilen von Erfahrung an erster Stelle steht, gefährden elterliche Vernachlässigung oder das Versagen, sich auf die Bedürfnisse des Säuglings einzustellen, insbesondere wenn sie nicht behoben werden, tendenziell die Entwicklung eines „sozialen Gehirns“ (S. 190), untergraben den „sozialen Geist“ (S. 51) und verwandeln letztendlich das „Glück des Alleinseins“ in den „Abgrund der Einsamkeit“. Diese bindungstheoretisch inspirierte Denkrichtung wird durch zwei Beiträge substantiiert mit den Titeln „Einsamkeit und Gesundheit“ („Loneliness and Health“) (S. 213-226) und „Einsamkeit und das Gehirn“ („Loneliness and the Brain“) (S. 227-238) von Gamze Özçürümez Bilgili, einer psychiatrischen Kollegin aus der Türkei, hochspezialisiert auf Neurowissenschaft und Gehirnforschung. Sie dokumentiert, wie sich Einsamkeit auf die Gesundheit und damit auf das Gehirn auswirkt. Sie dokumentiert ihre Thesen durch einen umfassenden Überblick über die relevante Forschung. Und darüber hinaus fügt sie Gedichte aus verschiedenen Ländern hinzu, die uns zeigen, dass etwas Bedeutsames von den Dichtern gewusst und später durch die Neuroforschung bestätigt werden konnte. Einer dieser Zustände ist die Beobachtung der entwicklungspsychologischen Forscherin Inge Seiffge- Krenke, dass Kinder und Jugendliche Einsamkeit durch die Erfindung imaginärer Freunde „heilen“ – ein klinischer Beitrag, der durch Forschungsergebnisse reich untermauert wird.

Epidemiologische Forschungsergebnisse zum Thema Einsamkeit werden von einer Gruppe von Autoren (Eva M. Klein, Mareike Ernst, Manfred E. Beutel und Elmar Brähler, S. 201-212) vorgestellt, die sich mit dem Thema bestens auskennen. Auch sie definieren Einsamkeit, die durch bindungsaffizierende Fehlplanungen von Stadtplanern und anderen Politikern unbeabsichtigt verschlimmert wird. Denken Sie an ländliche Gegenden, in denen es für einen heranwachsenden jungen Mann schwierig ist, zum Fußballplatz zu gelangen, weil es mit dem Fahrrad zu weit ist und sein Vater ihn nicht fährt. Oder von einer jungen Frau, die sich nicht mit Freunden treffen kann, weil keine Busse fahren. Die in diesem Beitrag präsentierten epidemiologischen Daten korrigieren eine stille Annahme vieler Menschen: Die Gruppe, die am stärksten unter Einsamkeit leidet, sind nicht Ältere, sondern junge Menschen um die 18 Jahre. Das Bindungsbedürfnis ist nicht nur in den ersten beiden Lebensjahren kritisch für das Leben.

Verschiedene mit Einsamkeit verbundene Seelenzustände wie seelischer Schmerz, Fragmentierung und Scham werden in den sieben Kapiteln von Teil IV erforscht, die von angesehenen Psychoanalytikern verfasst wurden. Diese teilen mit dem Leser, was sie von ihren Patienten gelernt haben.

Patricia Arfellis Fallberichte in „Der stille Schrei, das Pfeifenlabyrinth, die Mäuse und der Keller: die vielen Stimmen kindlicher Einsamkeit“ („The silent cry, the maze of pipes, the mice and the cellar: the many voices of infantile loneliness“) (S. 243-253) können hier nicht zusammengefasst werden; sie berühren dein Herz, da sie spürbar aus tiefer Anteilnahme am Schicksal der Kinder, die sie behandelt, geschrieben sind. Die Autorin verwendet kaum theoretischen Jargon und genau dies erreicht den Leser. Gail A. Hornstein bespricht in „Landschaften der Einsamkeit: Auseinandersetzung mit Frieda Fromm-Reichmans Pionierarbeit“ („Landscapes of loneliness: engaging with Frieda Fromm-Reichman’s pioneering work“) (S. 255-265) die Arbeit und Biografie von Frieda Fromm- Reichmann, die als eine der wenigen Klinikerinnen gilt, die zutiefst die Zustände der Isolation und des seelischen Schmerzes ihrer Patienten ertrug und nicht aufgab, als ihre Patienten sich längst selbst aufgegeben hatten.

Lesley Caldwell präsentiert und untersucht in „Einsamkeit und Alleinsein: die Beiträge zweier britischer Analytiker“ („Loneliness and being alone: the contributions of two British analysts“) (S. 267-277) die Beiträge von Melanie Klein und Winnicott, und gibt uns die Möglichkeit, den Unterschied zwischen beiden zu erkennen. Während von Klein gesagt wird, dass sie „das Alleinsein nicht erwähnt“ und auch nicht in „die Möglichkeit kreativer Aspekte der Einsamkeit einführt“ (S. 275), weiß Winnicott um die Einsamkeit, wenn das Leben beginnt, und untersucht die „Wurzeln einer ekstatischen Begegnung mit sich selbst und der Welt“ – man könnte meinen, er war ein versteckter Bindungstheoretiker.

In dem Aufsatz „Traumatisches Alleinsein bei Kindern mit narzisstisch beschäftigten Eltern“ („Traumatic aloneness in children with narcissistically preoccupied parents“) (S. 279-293) beschreibt Jay Frankel die Weisen, wie diese Eltern ihre Kinder ausbeuten und sie unbewusst dazu nutzen, eine Selbstobjektfunktion zu erfüllen, um ihre eigenen unerträglichen Seelenzustände zu regulieren, wie dies von diesen Kindern erlebt werden kann, und wie diese Kinder (und später auch Erwachsene) typischerweise ihre unerträglichen Gefühle abwehren. Diese Eltern sind überinvolviert mit dem Kind, und doch „befasst sich der Elternteil in Wirklichkeit mit einem Scheinbild und ist blind gegenüber dem wahren Kind – dies eine eigene Art emotionaler Verlassenheit. Und tatsächlich fühlen sich diese Kinder wahrscheinlich sehr allein und anders als andere Menschen“ (S. 280).

Die Verleugnung durch einen Elternteil ist eine besondere Form des Verlassenwerdens, die „die Botschaft sendet, dass der Elternteil nichts Falsches getan hat“ und das Kind zwingt, „das Bild eines liebevollen, engagierten Elternteils zu bewahren“ (S. 281). Dieses Kind wird sich den Wünschen seiner Eltern auf extreme Weisen unterwerfen, unter anderem durch das, was Ferenczi (1933) „Identifikation mit dem Aggressor“ nannte – eine Identifikation mit dem inneren Objekt, das der Aggressor auf das Kind projiziert. Frankel beschreibt die vielfältigen Folgen der inneren gefügigen Anpassung des Kindes an die elterliche Verleugnung ihres verletzenden und schädlichen Verhaltens ihm gegenüber, die regelmäßig in Selbstvorwürfen, wenn nicht sogar in Selbstgeißelung münden.

Laut Frankel führt analytische Neutralität oder Anonymität bei diesen Patienten leicht zu einer Retraumatisierung. Daher empfiehlt er, sich besonders auf ihr „Bedürfnis, die antwortende Präsenz ihres Analytikers zu spüren“ einzuschwingen (S. 283). Diese Ansicht wird in ähnlicher Weise durch die Beiträge von Charles Ashbach vertreten. In seinem Kapitel „Die klinische Begegnung mit dem einsamen Patienten: Trauma und das leere Selbst“ („The Clinical encounter with the lonely patient: trauma and the empty self“) (S. 295-305) zeigt er in einer eindrucksvollen Fallstudie, wie ein leeres Selbst „repariert“ und mit den richtigen Dosen der Präsenz des Analytikers gefüllt werden kann. Peter Shabad dokumentiert in seinem Kapitel mit dem Titel „Scham und ihre Vertuschung: das in sich geschlossene Gefängnis der Isolation“ („Shame and its cover-up: the self-enclosed prison of isolation“) (S. 307-317) eine umgekehrte Behandlung – einige Patienten schließen sich in ein selbstgewähltes Gefängnis der Isolation ein, getrieben von einem unerträglichen Maß an Scham und Selbstverleugnung.

Alle Autoren gehören zur „relationalen Wende“ in der Psychoanalyse oder sind dafür sensibel. Hier möchte ich kurz auf Buchholz' Aufsatz „Stärkung der menschlichen Bindung: In der Psychotherapie ist ‚Wir tun‘ wichtiger als Intervention“ (S. 319-340) eingehen, da er eine bemerkenswerte Weiterentwicklung von Hans Loewalds relationaler Neudefinition des psychoanalytischen Schlüsselbegriffs des „Verstehens“ bietet. Es gibt eine Geschichte der „geistvollen Begegnung“ („meeting of minds“) (S. 322-323).

Wie „gegenseitige Aufmerksamkeit“ in Leib-zu-Leib-Interaktionen ist auch ein Gespräch in erster Linie eine „geteilte Erfahrung“. Psychotherapie heilt durch Wahrnehmen und Wahrgenommenwerden, und, wie in einer Mutter-Kind-Beziehung, ist diese Gegenseitigkeit eine Praxis des „Wir tun“ („doing We“). Ein therapeutisch bedeutsames Gespräch ist etwas hochgradig Besonderes und hat nichts mit dem kommunikativen „Lärm“ zu tun, der stark zur Einsamkeit beiträgt. Letztere ist laut Buchholz „keine Störung, sondern ein sehr einflussreicher Seelenzustand, dem eine resonierende Membran fehlt“ (S. 337). Innerhalb der Psychotherapie kann es als die fortlaufende Konstruktion eines „gemeinsamen Grundes“ beschrieben werden, der zwischen Analytiker und Analysand im Gespräch-in-Interaktion geschaffen wird. Durch diesen Prozess wird (individualistische) Einsamkeit in (gemeinsames) Alleinsein verwandelt.

„Common Ground“-Konstruktion ist ein rekursiver Prozess, der im Behandlungsraum deutlich zu beobachten ist und durch den das „etwas mehr“, auf das die Begriffe „interpersonales Feld“ (Baranger u. Baranger) (S. 321), „Analytisches/r Drittes/r Third“ (Odgen), (S. 322-323), und „Arbeitsbündnis“ (Safran u. Muran), (S. 321-324), anspielen, sich mit großer Präzision artikulieren lässt. Anhand mehrerer Vignetten und ihrer elaborierten Transkriptionen zeigt Buchholz, wie die rekursive Konstruktion eines gemeinsamen Grundes „eine resonierende Membran als verleiblichte Erfahrung für beide Beteiligten schafft, aus der Metaphern für die laufende Interaktion entstehen können. Wird diese resonierende Membran eingeführt und angenommen, stellt sie mit sanfter und beiläufiger Nötigung ein „Wir“-Erlebnis und einen Moment des gegenseitigen Verstehens her.“ (S. 325). Hier wird „Einsamkeit für einen Moment überwunden; nicht durch Informationsaustausch, sondern durch eine gemeinsame Sensibilität, ausgedrückt in Worten“ (S. 326).

In der Postmoderne wird die Atomisierung der Individuen zugleich überwunden und bewahrt. Buchholz' Aufsatz „Die Einsamkeit der einsamen Wölfe – über eine besondere Variante des Terrorismus“ („Lone wolves’ loneliness – About a special variant of terrorism“) (S. 31-56) beleuchtet dieses Paradoxon und er untersucht, wie dies im Behandlungszimmer erreicht werden kann.

Wie Aleksandar Dimitrijević und Michael Buchholz in ihrer Einleitung zu diesem großartigen Buch erläutern: „Was paradox erscheinen mag, ist, dass einige der bedeutendsten Orte der Einsamkeit heute das Internet und die sozialen Medien sind. Die Zerstörung menschlicher Netzwerke durch „soziale“ Medien erzeugt die Einsamkeit, gegen die soziale Medien das Heilmittel zu sein scheinen“ (S. xxi).

Einsamkeit ist ein zentrales Problem in unserer Welt und unserem Leben sowie in unserer täglichen Arbeit als Gesundheitsfachkräfte, aber es ist nicht nur ein psychologisches oder soziologisches Problem. Es widersetzt sich einem und nur einem methodischen Ansatz. Einer der Vorzüge dieser Aufsatzsammlung besteht darin, dass sich die Autoren dieser interdisziplinären Dimension voll bewusst sind und den Leser in eine umfangreiche und artikulierte Reise an die Orte des Alleinseins und der Einsamkeit hineinziehen, die von der Weltgeschichte bis zum Sprechzimmer des Analytikers reichen, ohne dabei die Verbindung zu trennen von der Suche nach einem stillen, leeren Raum, in dem der Klang des Seins einen Widerhall findet.


*Anm. des Übers.: Das englischsprachige Original dieser Übersetzung erschien als Bonomi, Carlo (2023): „Book Review. From the Abyss of Loneliness to the Bliss of Solitude: Cultural, Social and Psychoanalytic Perspectives“, edited by Aleksandar Dimitrijević and Michael B. Buchholz. Bicester, Oxfordshire: Phoenix Publishing House Ltd, 2022. In: The American Journal of Psychoanalysis, 2023, Vol. 83, S. 265-271, https://doi.org/10.1057/s11231-023-09398-7.

2 Anm. des Übers.: englische Originaltitel in Klammern. 

 

Anmerkung

Diese Buchrezension wurde im Rahmen der virtuellen Buchpräsentationsreihe des International Sándor Ferenczi Network am 4. Februar 2023 mit Vorträgen von Aleksandar Dimitrijević, Michael B. Buchholz und Jay Frankel und einer Diskussion von Carlo Bonomi gehalten.

 

Literaturverzeichnis

Dimitrijević, Aleksandar und Buchholz, Michael B. (Hg.) (2022): From the Abyss of Loneliness to the Bliss of Solitude: Cultural, Social and Psychoanalytic Perspectives. Bicester/Oxfordshire: Phoenix Publishing House Ltd, 347 Seiten.

Ferenczi, Sándor (1933): „Confusion of tongues between adults and the child: The language of tenderness and passion“. In: Ferenczi, Sándor (1955): Final contributions to the problems and methods of psychoanalysis, S. 156-167. New York: Basic Books. Auch in: International Journal of Psychoanalysis 30 (1949), S. 225-230.

 

Autor:in: Carlo Bonomi, Ph.D., ist Lehranalytiker und Supervisor der Società Italiana di Psicoanalisi Sándor Ferenczi, Präsident des International Sándor Ferenczi Network (ISFN),
Dozent, Mitherausgeber von The Wise Baby/Il poppante saggio, assoziierter Mitherausgeber des International Forum of Psychoanalysis. Er hält Universitätsabschlüsse in Philosophie und Psychologie und ist auch als Künstler tätig.

Übersetzer:in: PD Dr. Hilmar Schmiedl-Neuburg, ist Privatdozent am Philosophisches Seminar der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Faculty am Department of Philosophy der University of Massachusetts Boston.